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Wahlstation Washington
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von Julia Blees * Erstveröffentlichung: 1. Januar 2016 Auch in den USA gilt die Unschuldsvermutung. Viele Amerikaner, auch Juristen, sind der Meinung, dieses Konstrukt gebe es nur in den Vereinigten Staaten und England. Dabei ist die Unschuldsvermutung im US-Recht auf die Beweislastregel in dubio pro reo beschränkt, während sie im kontinentaleuropäischen Raum auch die Würde des Verdächtigen sichert. Während Strafverfolger in Deutschland und Europa unvoreingenommen sind oder sein sollten, sind sie im US-amerikanischen Prozess geradezu verpflichtet, voreingenommen zu sein. Dies wird deutlich, wenn man sich mit dem sogenannten Perp Walk beschäftigt. Der Begriff leitet sich aus der Wendung walking the perp her, wobei perp für perpetrator, was zu deutsch Straftäter bedeutet, steht. Perp Walk ist der Weg zum Haftrichter, und dieser findet in den USA öffentlich statt. Die Medien dürfen und sollen teilnehmen und Fotos vom Verdächtigen in Handschellen schießen und veröffentlichen. Ursprünglich war der Perp Walk nur für schwere Straftaten vorgesehen, doch wurde er in den 1980er Jahren in New York durch Rudolph Giuliani zur Abschreckung auch auf andere Delikte ausgeweitet und ist heute common Custom in den USA. In Deutschland widerspräche dies massiv dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und ist daher undenkbar. Im deutschen Strafprozess findet kein Perp Walk statt; der Verdächtige wird vom Gefängnis zu Gericht - meist zu den im Keller des Gerichts befindlichen Haftzellen - gebracht und dort unter Ausschluss der Öffentlichkeit dem Haftrichter vorgeführt. Ein weiteres, aus dem Perp Walk resultierendes Problem ist, dass die amerikanische Jury durch die Presseveröffentlichungen in ihrer Beurteilung der Schuldfrage beeinflusst werden kann. Zunächst ist auch hier daran zu erinnern, dass auch im amerikanischen Prozess der Richter das Urteil spricht und die Jury in der Regel nur über die Schuldfrage entscheidet. Die Jury besteht meist aus 12 Mitgliedern, die die Tatsachenfeststellungen treffen, sie subsumieren und daher die vom Plädoyer Angesprochenen bilden. Die Einzelstaaten in den USA entscheiden selbst über die Art und Größe der Jury in ihren Gerichten. Auch kann eine Jury-Entscheidung Vorteile gegenüber einer reinen richterlichen Entscheidung bieten: es handelt sich nämlich um eine kollektive Entscheidungsfindung. Die Möglichkeit, Fehler im Prozess oder der Entscheidungsfindung zu begehen, kann aufgrund der Größe der Jury besser überwacht. Somit kann das Auftreten von Fehlern effektiver verhindert werden, während der Richter sich auf das Verfahrensrechtliche konzentriert. Allerdings bietet das System auch weitgreifende Nachteile: die Geschworenen als Gruppe unvorbereiteter Laien kann nach Ermessen, schlimmstenfalls bis zur Willkür oder auch unter Missachtung gesetzlicher Vorgaben entscheiden und unter den Mitgliedern kann Gruppendruck entstehen. Dann muss jedoch der Richter eingreifen. Im amerikanischen Zivilprozess verhält sich das Verhältnis von Richterrolle zu Geschworenen genauso. Um auf das Problem der Voreingenommenheit nach Presseberichterstattung zurückzukommen: Dies ist grundsätzlich ein allgemeines Problem und kann auch in Deutschland relevant werden, auch ohne Perp Walks. Es kann nämlich durchaus auch durch mediale Berichterstattung während eines bereits laufenden Verfahrens geschehen, wie beispielsweise im Kachelmann-Prozess in Deutschland. Gleichwohl darf man die unterbewusste, mittelbare Wirkung einer solchen medialen Darstellung, die auf eine mediale Vorverurteilung hinausläuft, nicht unterschätzen. Der Druck auf die Laienrichter nimmt zu, je interessanter oder prominenter die dargestellte Person ist. Je größer das Ansehen der verdächtigen Person, umso kritischer wird die Person in der Presse eben auch diskutiert und dargestellt, wie beispielsweise im Fall Dominique Strauss-Kahn,. Grundsätzlich bedeutet das Prinzip der Unschuldsvermutung, dass die Ermittlungsbehörden so handeln, dass der Verdächtige nicht vor einer ruinierten Existenz steht, wenn sich seine Unschuld im Laufe des Verfahrens herausstellt. Der Beschuldigte eines Strafverfahrens muss bis zum Beweis des Gegenteils als unschuldig gelten und eben auch so behandelt werden. In Europa ist die Unschuldsvermutung ein substantielles Recht des Verdächtigen. Ihr folgen nicht nur Beweisregeln, sondern auch das Prinzip der Verfahrensgerechtigkeit, wie zum Beispiel: das Verfahren muss unparteilich und fair ablaufen, und es müssen auch die den Verdächtigen entlastenden Fakten ermittelt werden. In den USA und auch in England ist die Unschuldsvermutung hingegen auf die Beweiswürdigung beschränkt. Der Supreme Court hat 1895 erstmals in einem Urteil die Unschuldsvermutung für die USA anerkannt, Coffin vs. United States: Die Vermutung der Unschuld bedeutet die Bewertung der Beweise im Sinne des Angeklagten. Legt die Anklage aber Beweise vor, die keine vernünftigen Zweifel an der Schuld des Verdächtigen erkennen lassen, ist dies im Rahmen der amerikanischen Unschuldsvermutung schon ausreichend. Da sich im amerikanischen Prozess der Angeklagte und der Staatsanwalt wie in einem Parteiverfahren oder gar in einem Duell gegenüberstehen, ist diese nach deutschem Verständnis schwache Unschuldsvermutung mit dem konfrontativen amerikanischen Strafverfahren vereinbar, allerdings aus deutscher Sicht nicht ausreichend. * Julia Blees ist Rechtsassessorin. Sie absolvierte ihr Rechtsreferendariat im Oberlandesgerichtsbezirk Koblenz und studierte zuvor Rechtswissenschaften an der Universität Trier. Bei Berliner Corcoran & Rowe LLP unter der Leitung des deutsch-amerikanischen Rechtsanwalts Clemens Kochinke, Attorney at Law, absolvierte sie 2015 drei Monate Anwaltsstation im Rahmen ihres Rechtsreferendariats. Dieser Bericht entstand während eines Forschungsaufenthalts in Washington, DC. |