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U.S. Supreme Court setzt Strafschadensersatz Grenzen

Erstveröffentlichung: 8. April 2003
Clemens Kochinke
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Am 7. April 2003 beurteilte der Oberste Bundesgerichtshof der Vereinigten Staaten in Washington erneut die Grenzen der Punitive Damages, die in Fällen der deliktischen Haftung ("Torts") dem Verursacher zusätzlich zum tatsächlichen Schadensersatz auferlegt werden können, siehe State Farm Mutual Automobile Insurance Company v. Inez Preece Campbell et al., 538 U.S. ___ (2003); No. 01-1289: html; pdf.

Das Gericht bestätigte, dass der Strafschadensersatz eine ähnliche Funktion wie die strafrechtliche Bestrafung erfüllt. Im Gegensatz zum Strafrecht wenden die Zivilgerichte jedoch in der Regel nicht die strengeren verfassungsrechtlichen Schutzmechanismen an, die der Strafverfolgung prozedurale und materielle Schranken setzen. Ausgehend von diesem Ansatz und aufbauend auf den zwei vorangegangenen Entscheidungen zum Strafschadensersatz im letzten Jahrzehnt (BMW of North America v. Gore, 517 U.S. 559 (1996); Cooper Industries, Inc. v. Leatherman Tool Group, Inc., 532 U.S. 424 (2001)) beschloss es nun, die Verfassungsmässigkeit von Punitive Damages klarer zu zeichnen. Zwar verzichtete es wiederum auf die Einführung einer mathematischen Formel, aber es scheint mit seinem Hinweis auf einen Faktor von einstelliger Grösse das Verhältnis von tatsächlichem Schadensersatz zum Strafschadensersatz doch in einen bestimmbaren Rahmen verlegen zu wollen, der erheblich von der bisherigen Praxis abweicht. Aus diesem Grund ist dieses Urteil von entscheidender wirtschaftlicher Bedeutung.

Tatsachen

Ausgangspunkt des Falles ist ein tragischer Verkehrsunfall mit Todesfolge und schwerer Invalidität und die anschliessende Klage der Geschädigten. State Farm, der KFZ-Versicherer des Verursachers, empfahl dem Versicherten trotz einer Deckung von lediglich $50.000, nicht selbst der Klage entgegenzutreten oder einen Rechtsanwalt einzuschalten. Wie vom eigenen Sachverständigen vorhergesagt, welcher vom Bestreiten der Haftung abgeraten hatte, doch entgegen State Farms Erwartungen lautete das Urteil auf einen weit höheren Betrag. State Farm weigerte sich, mit Campbell gegen das Urteil Berufung einzulegen oder auch nur Sicherheit zu leisten, sondern empfahl dem Kunden, sein Eigentum zur Befriedigung des Urteils zu verkaufen. Der Kunde ging jedoch gegen das Urteil vor, welches 1989 vom obersten Gericht des Staates Utah bestätigt wurde. State Farm zahlte schliesslich den Deckungs- sowie den Exzessbetrag. Gemeinsam mit den Geschädigten verklagte Campbell nun State Farm wegen Betrugs, Bösgläubigkeit und verwandter Torts und konnte nachweisen, dass State Farm eine Geschäftspolitik verfolgte, die auch bei gerechtfertigten Ansprüchen die eigenen Kunden, die Geschädigten und die Verfahren so zu manipulieren verstand, dass sie eine rechtswidrige Minimierung der Versicherungsleistungen bewirkte. Verfahrensrechtlich bedeutsam ist, dass State Farm vor Gericht das neuergangene Gore-Urteil zitierte, nach der eine ausserhalb des Einzelstaates relevante Systematik von Torts-Handlungen nicht, oder nur beschränkt, im Klagestaat zur Beurteilung von Strafschadensersatzforderungen herangezogen werden darf. Das zuständige einzelstaatliche Gericht entnahm Gore jedoch kein Verwertungsverbot für den vorliegenden Fall. State Farm wurde von den Zivilgeschworenen zu $2,6 Mio. Schadensersatz sowie $145 Mio. Strafschadensersatz verurteilt. Im Rahmen des Remittitur reduzierte der erstinstanzliche Richter die Beträge auf $1 Mio. und $25 Mio. Der Utah Supreme Court bestätigte jedoch das Verdikt der Jury, nachdem er feststellte, dass es mit Gore vereinbar sei. Als Faktoren berücksichtigte er State Farms "immenses Vermögen" sowie die versteckte Art der verwerflichen Geschäftspolitik, die in statistich höchstens jedem 50.000sten Fall zu einer Strafschadensersatzverurteilung führe. Schliesslich weiche der Strafschadensersatzbetrag auch nicht zu sehr von den Zivilsanktionen und Strafen ab, die gegen State Farm verfügbar gewesen wären.

Begründung

Der Gerichtshof in Washington wies den Fall an die Gerichte Utahs mit der Empfehlung zurück, sich auf die Bemessung des Strafschadensersatzes anhand der Gore-Prinzipien zu konzentrieren. Obwohl er den Fall als weder schwer noch unklar bezeichnete, stellt die Entscheidung doch eine nützliche Konkretisierung seiner neuen Rechtsprechung dar. Die Begründung stützt sich auf drei Grundsätze aus Gore, die das Gericht lediglich zu intepretieren behauptet, aber es unternimmt endlich auch den allerseits nach Gore erhofften Schritt, durch klare Aussagen die Grenzen der Punitive Damages aufzuzeigen. Die Begründung leitet sich letztlich aus dem Grundsatz des Due Process of Law nach dem 14. Verfassungszusatz ab.

Nach Gore ist zunächst die Verächtlichkeit der Handlungen zu prüfen, die das Gericht nun als das Hauptindiz für die Angemessenheit des Strafschadensersatzes bezeichnet. Es verzeichnet einige Elemente der erforderlichen Abwägung, so phyische Schädigung oder wirtschaftliche Schädigung, Einzelfall oder Wiederholungstat, Indifferenz oder Rücksichtslosigkeit gegenüber Gesundheit und Sicherheit anderer, und vorsätzliche Böswilligkeit im Gegensatz zu Täuschung oder Zufall. Strafschadensersatz ist nur dann zulässig, wenn die Schuld des Täters so verachtenswert ist, dass über die Zuerkennung von Schadensersatz hinaus weitere Sanktionen notwendig sind, um eine Bestrafung oder Abschreckung zu bewirken.

In diesem Fall wandte sich der Strafschadensersatz nach Auffassung des Gerichtshofs jedoch gegen vermutete Handlungen von State Farm ausserhalb des zuständigen Einzelstaates, und kein Staat dürfe rechtswidrige Handlungen ausserhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs verfolgen. Zudem sei die Art der externen, zur Würdigung herangezogenen Handlungen nicht den fallkonkreten Handlungen im Staate Utah vergleichbar. Vielmehr seien die sonstigen Praktiken State Farms als Beweise verwertet worden, um allgemein das Verhalten des Versicherers zu kritisieren, gleich ob sie nach dem Recht der jeweils zuständigen Staaten rechtmässig oder rechtswidrig seien. Mithin eigneten sie sich, ihn bei den Zivilgeschworenen mit selbst hypothetischen Anschuldigungen blosszustellen. Dies sei unzulässig. Gleichermassen bedenklich sei auch, dass im Zivilrecht keine Bindung unbeteiligter Parteien an den Strafschadensersatzzuerkennung in einer Entscheidung erfolge, sodass State Farm in anderen Verfahren wegen derselben Praktiken erneut bestraft werden könnte. Schliesslich sei keine Wiederholungstätereigenschaft belegt worden, die Punitive Damages rechtfertigen könne. Daher folgert das Gericht, dass lediglich die fallkonkreten Handlungen in der Würdigung berücksichtigt werden dürfen, weil keine Beweise für vergleichbares Handeln in den Prozess eingebracht wurden, die dem ersten Gore-Prinzip entsprechen.

Zum zweiten Gore-Prüfungsmerkmal gesteht der Gerichtshof im Rahmen der wohl wichtigsten Aussage ein, dass er selbst zurückhaltend bei der Konkretisierung verfassungsmässiger Grenzen gewesen sei, die sich aus einem Verhältnis von tatsächlichem oder potenziellem Schaden des Geschädigten sowie zur Höhe des Strafschadensersatzes ableiten. Er gibt nun zu bedenken, dass in der Praxis Punitive Damages selten mehr als einen einstelligen Multiplikator des tatsächlichen Schadens darstellen und gleichzeitig verfassungsmässig bleiben dürften. Diese Kriterien müssen wohl als Kern dieses Urteils gelten, weil sie endlich einen praktischen Ansatz bieten.

Absolute Faktoren könnten nicht allgemeingültig aufgestellt werden. Extreme Fälle dürften Abweichungen rechtfertigen, beispielsweise bei geringem tatsächlichen Schaden, der aus einem ausserordentlich böswilligen Verhalten resultiert, doch wiederum nicht, wenn ein erheblicher Schaden bereits durch einen tatsächlichen Schadensersatz ausgeglichen wird. Im State Farm-Fall gilt vielmehr eine Vermutung gegen die Verfassungsmässigkeit eines 145-fachen Multiplikators, nachdem eine achtzehnmonatige Stresssituation bereits mit einem Schadensersatz von $1 Mio. abgegolten wurde, besonders dann, wenn vermutlich diese besondere Belastung ein Merkmal beider Schadensersatztypen darstellt. Das Revisionsgericht des Staates Utah dürfe diese "massive" Entschädigung nicht mit Argumenten ohne Bezug zur Angemessenheit oder zur Verhältnismässigkeit rechtfertigen.

Das dritte Gore-Kriterium hält der Supreme Court für geradezu abwegig angewandt. Die neben einem Strafschadensersatz denkbaren Sanktionen für die Handlungen von State Farm wirken "zwergenhaft", beispielsweise das Ordnungsgeld ("Civil Penalty") von $10000 für jeden schweren Betrugsfall. Diese alternativen Strafen können keinem Vergleich mit dem zugemessenen Strafschadensersatz im Sinne einer verfassungsmässigen Angemessenheit Stand halten, erkennt der Gerichtshof.

Abschliessend entspricht der Gerichtshof dem Wunsch aller amerikanischen Juristen, indem er deutlich seine Erwägungen auf den konkreten Fall anwendet und erklärt, dass angesichts des erheblichen Schadensersatzbetrages für den tatsächlichen Schaden der Strafschadensersatz sich etwa in der Höhe der Schadensausgleiches bewegen sollte, was ungefähr $1 Mio. bedeuten dürfte.

Ausblick

Mit dem State Farm-Campbell-Urteil stellt der Oberste Bundesgerichtshof der Vereinigten Staaten die langersehnte Rechtssicherheit bei der Abwägung von Strafschadensersatzrisiken in Aussicht. Anhand seiner Faustregeln lassen sich die Gore- und Leatherman-Kriterien in die Praxis umsetzen. Da greifbare Resultate nicht zu seinen Stärken zählen, ist dieses Urteil vielleicht auch als Schlussstrich des Gerichtshofs unter die verfassungsrechtlichen Revisionen von Strafschadensersatzurteilen zu verstehen, um sich in absehbarer Zukunft nicht mehr mit dem Thema befassen zu müssen.


*     Der Verfasser ist bei diversen Gerichten bis zum Obersten Bundesgerichtshof der Vereinigten Staaten nach juristischer Ausbildung in den Vereinigten Staaten, England und Deutschland zugelassen und berät als Partner der Washingtoner Kanzlei Berliner, Corcoran & Rowe, LLP im internationalen Wirtschaftsrecht.


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