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In English: German Law
Wahlstation Washington
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Erstveröffentlichung 11. November 2013 Von Clemens Kochinke, MCL* Jeder Staat der USA hat sein eigenes Recht. Das war auch in Deutschland so. Dort dauerte es bis 1815, 1848, 1871 und 1900. Dann bahnte sich die Vereinheitlichung des landesweit geltenden Rechts an. Mit der Europäischen Union entwickelt sich das Recht in eine amerikanische Richtung: viele einzelne Rechtsordnungen in Europa unter gemeinsamen Regeln. Bei den gemeinsamen Regeln hapert es allerdings in den USA. Vor der Bundesverfassung gab es nämlich in jeder Kolonie des Landes vollständig entwickelte Rechtsordnungen sowie Gerichtsbarkeiten. Die Verfassungsväter entschieden, dass sie beibehalten werden sollten. Vertragsrecht, Strafrecht, Sachenrecht, Erbrecht, Arbeitsrecht, Gesellschaftsrecht, Haftungsrecht für rechtswidrige Handlungen, Prozessrecht und dergleichen mehr fallen weiterhin in die Zuständigkeit jedes Staats sowie der sonstigen, nicht als Staat anerkannten Körperschaften wie Puerto Rico, der Marianen- und Jungferninseln und des Bundeshauptstadtbezirks District of Columbia, in dem Washington angesiedelt wurde. Der Bund sollte für wenig zuständig sein. Deshalb gab es bis 1937 nur wenige Bundesbehörden, in Washington oder sonstwo. Beim Weißen Haus stand das Verteidigungsministerium, das mittlerweile das Old Executive Office Building des Präsidenten darstellt - wie das Kanzleramt in Deutschland. Zudem sollte der Bund für Zölle zuständig sein, um seinen Haushalt zu finanzieren, und für Themen wie Patent- und Urheberrecht. Warum sollten die Staaten für nahezu alles andere zuständig bleiben, wenn man sich doch darauf verständigte, einen von England unabhängigen Staat zu bilden? Das erklärt nur die Geschichte. In den verschiedenen Kolonien landeten Leute unterschiedlicher sozialer, wirtschaftlicher und religiöser Herkunft an. Nach Virginia kamen Aristokraten, die für den Tabakanbau und sonstige Landwirtschaft billige Arbeitskräfte benötigten. Die konnten sie günstig aus England beziehen. England hatte seine Unruhen, was die Gefängnisse füllte. Wer im Gefängnis saß oder eine Überfahrt nach Amerika nicht bezahlen konnte, verdingte sich als temporärer Sklave, Indentured Servant, mit dem Versprechen, nach sieben Jahre die Freiheit zu gewinnen. An der Nordküste siedelten sich Engländer an, die nach Religionsfreiheit drängten, allerdings diese Freiheit in einem von Ort zu Ort unterschiedlichen Sinne sahen. Sie besiedelten Neu-England und führten teilweise puritanische Regeln ein, anderenorts striktere, manchenorts lockerere - und begannen, sich wegen Unterschiede im Religionsverständnis nicht gegenseitig zu trauen. Diese Freiheit bedeutete nicht Toleranz, sondern meist strikte Beachtung, also Intoleranz gegenüber Gruppenfremden. Daher konnte sich manche Frau nicht sicher sein, im Nachbarort oder -kreis nicht als Hexe verbrannt oder ertränkt zu werden. Und der Handelsreisende konnte nicht darauf bauen, dass sein Vertrag einen Kreis weiter auch erfüllt werden würde. Erst recht nicht, dass ein dortiges Gericht dem Fremden zu seinem Recht verhelfen würde. Nach Pennsylvania zogen Quäker und Pfälzer und kamen scheinbar in friedlicher Harmonie miteinander klar. Allerdings scherten sie sich nicht sonderlich um den Staat, sondern legten Wert darauf, ihre privates und wirtschaftliches Leben möglichst ohne staatliche Mitwirkung und statt dessen nach Gruppenregeln zu gestalten. Maryland zog Deutsche und Iren an, die dem Staat mehr Respekt erwiesen und eine gewisse Ordnung erwarteten - oder sich zumindest darauf einstellen konnten. Klare Regeln - praktisch. Sie waren mehrheitlich katholischen Glaubens und damit etwas progressiver, was sich auch auf die Rechtsfortbildung auswirkte und noch heute in krassem Gegensatz zum antiquierten Recht Virginias auf der anderen Seite des Potomac steht. Im Süden gab es Regionen mit französischen oder spanischen Traditionen, so in Florida, Louisiana, Texas und Südkalifornien. Auch diese wirkten sich auf die Erwartung der Völker an ihre Gesetzgeber und damit auf die Gestaltung des Rechts aus. Während die meisten Staaten der USA beispielsweise ihr Wirtschaftsvertragsrecht mit einem Mustergesetz namens Uniform Commercial Code vergleichbar gestaltet haben - selbst wenn dieses Recht in wichtigen Punkten unterschiedlich bleibt -, gilt in Louisiana weiterhin ein völlig abweichendes Vertragsrecht nach französischem Vorbild. In den Appalachen, die sich vom hohen Norden bis weit in den Süden erstrecken, blieben Siedler auf Berghöhen und in engen Tälern hängen. Bis heute ist den Hinterwäldlern das Recht auf eigene Waffen1 zur Verteidigung gegen Außenseiter wichtiger als der Staat, der anfangs kaum eine Polizeikultur und -infrastruktur stellen konnte. Ähnliches gilt im Wilden Westen, jenseits des von Deutschen und Skandinaviern geprägten Mittelwestens, wo man Recht und Ordnung erwartet, doch von jedem Bürger auch die Fähigkeit, sich selbst zu versorgen und in weitverstreuten, kleinen Gemeinden miteinander zurecht zu kommen. Abhängigkeit vom Staat, wie sie in den großen Städten der Ostküste früh zu bemerken war, gehört nicht zu ihrem Sozial- und Rechtsverständnis. Der Staat, von dem man nichts verlangt, soll sich auch nicht unnötig in lokale Belange einmischen. Eskimo- oder Indianertraditionen sind dabei nicht erkennbar, jedenfalls nicht aus Washingtoner Sicht. Auch die aus Afrika gebrachten und verschleppten Bürger der USA hatten keinen eigenen Einfluss auf das Recht. Doch reagierte das Recht auf ihre Existenz in perverser Weise. Sie galten teils als Sachen, teils als Nichtbürger. Dabei war zumindest die Sklaverei aus einem moralisch fragwürdigen, doch vertragsrechtlich nachvollziehbaren Konzept entwickelt worden. Als der Nachschub an Indentured Servants aus England ausblieb, weil das Ende der gewaltigen englischen Unruhen weniger Gefängnisse mit politischen Gefangenen füllten, sahen sich die Tabak- und Baumwollbosse des Südens nach Alternativen um und beschafften Indentured Servants in Afrika - ebenfalls mit dem Versprechen nach Freilassung nach sieben Jahren harter Arbeit. Das lief ganz ordentlich, und viele Afrikaner wurden Freemen in den Kolonien. Sie waren so frei wie die Weißen, und ihre Nachfahren sind noch heute stolz darauf. Die Engländer befanden sich in damals moralisch vertretbarer Gesellschaft, denn auch andere Teile der Welt kauften oder stahlen sich ihre Arbeitskräfte in Afrika. Pervers wurde die Lage, als die Plantagenbesitzer nicht genug Indentured Servants fanden und in der Folge den Sklavenhandel wie wir ihn heute verstehen aufnahmen: Menschen werden gegen ihren Willen ohne Freiheitsversprechen und Lohn gefangen, verschleppt, wie Ware verkauft, wie Tiere behandelt, misshandelt und nie wieder freigelassen. Sklaven gab es im Norden wie im Süden, doch der Norden entschied sich bald - für die Sklaven selbst nicht früh genug - gegen diesen Missbrauch. Die rechtliche Einstufung der Sklaven führte auch zu unterschiedlichen Rechtsentwicklungen in den einzelnen Kolonien und Staaten, die von der Kolonialzeit bis ins 19. Jahrhundert reichten und erst im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts zu praktischer Abhilfe gegen rechtliche Ungleichbehandlungen einmündeten. Fazit jedenfalls: Überall war das Recht anders, bevor sich die Kolonialisten von England unabhängig erklärten und dann über ihre eigene Verfassung berieten. Die Verfassungsväter beschlossen, dass der Bund nicht das Recht der Staaten ersetzen sollte. Nur punktuell sollte er selbst Recht setzen. Allerdings gab es eine wichtige Ausnahme. Wir müssen uns deshalb bald wieder an die Hexe und den Handelsreisenden erinnern. * Clemens Kochinke ist Equity Partner, Attorney at Law und Rechtsanwalt in einer Wirtschafts- und Völkerrechtskanzlei in Washington, DC und bildet Referendare und Praktikanten aus. Dieser Artikel fasst einen der Lehrgänge, die zur Ausbildung in der Praxis des amerikanischen Rechts gehören, zusammen. Er wird in das EBook für Referendare und Praktikanten eingefügt. 1 Was der Verfasser aus Buch- und Urteilswissen sowie Beobachtungen zusammenträgt, untermauert eine neue, lesenswerte Studie unter dem Blickwinkel der Aussichten für eine landesweit einheitlichere Waffengesetzgebung: Colin Woodard, Up in Arms, Tufts Magazine, Fall 2013. Sie belegt, dass die ersten Siedler Amerikas für völlig unterschiedliche Erwartungen an ihre Gesetzgeber verantwortlich sind. Die nachfolgenden Einwanderungswellen passten sich der örtlich vorgefundenen herrschenden Meinung an. Bei den heutigen Einwanderern ist dies nach Auffassung des Verfassers allerdings nicht mehr eindeutig der Fall. Der Einfluss von konzentriert angesiedelten Einwanderern aus der ehemaligen UdSSR sowie Zentralamerika auf Gesetzgebung und Verwaltung ist nicht zu verkennen. Dies kann jedoch eine vorübergehende Erscheinung sein, genauso wie vor 100 Jahren in Ballungsgebieten wie New Jersey oder Neuengland, die plötzlich von Personen aus der Mittelmeerregion oder Irland und Schottland geprägt wurden. Zitierweise / Cite as: Kochinke, Die Hexe und der Handelsreisende, 22 German American Law Journal (11. November 2013), http://www.amrecht.com/hexe+handelsreisender.shtml |