Americans with Disabilities Act
Originally published: September 20, 1999
Amerikanisches Arbeitsrecht
Aktuelle Probleme zur Auslegung des
Americans with Disabilities Act (ADA)
Von Claudius Taubert *
Der Americans with Disabilities Act (ADA), Par. 12101 ff., United States
Codes Annotated (U.S.C.A.), Band 42, ist ein Gesetz zur Durchsetzung der
Chancengleichheit Behinderter. Titel I enthält arbeitsrechtliche
Bestimmungen gegen die Diskriminierung behinderterter Arbeitnehmer (vgl.
Par. 12111 ff., U.S.C.A., Bd. 42).
Zwei Probleme zur Auslegung des ADA sind zur Zeit in den USA aktuell.
Einerseits kommt der Frage entscheidende Bedeutung zu, wer den Status eines
qualifizierten behinderten Arbeitnehmers ("qualified disabled worker") im
Sinne des (i.S.d.) ADA (vgl. Par. 12111 (8), U.S.C.A., Bd. 42) beanspruchen
kann und deshalb dem Schutz des ADA gegen Diskrminierung unterfällt.
Andererseits ist die Reichweite der Pflicht des Arbeitgebers, den
behinderten Arbeinehmer wirksam in den Betrieb einzugliedern ("reasonable
accomodation") problematisch. Par. 12111 (9) U.S.C.A., Bd. 42, enthält
diesbezüglich lediglich einige Anhaltspunkte (u.a. existierende
Einrichtungen im Betrieb für behinderte Arbeitnehmer nutzbar und erreichbar
zu machen, Ermöglichung von Teilzeitarbeit, Durchführung spezieller
Einweisungen und Übungsmassnahmen, etc.), jedoch keine abschliessende
Regelung.
Allgemeine Richtlinien zur Auslegung des ADA werden von der U.S. Equal
Employment Opportunity Comission (EEOC), einer Regierungsbehörde, die sich
für die Verwirklichung der Chancengleichheit von Arbeitnehmern einsetzen
soll, herausgegeben. Darüber hinaus sind aber auch zahlreiche
Gerichtsentscheidungen bezüglich der Auslegung des ADA ergangen, die den
Richtlinien des EEOC aber zum Teil widersprechen. Daher gewinnt die
Problematik der Verbindlichkeit dieser Richtlinien an Bedeutung.
In zwei Entscheidungen im Juni dieses Jahres hatte sich der Supreme Court
(das Oberste Bundesgericht in Washington, DC) im arbeitsrechtlichen Kontext mit Fragen der
Interpretation des ADA zu befassen. Im Fall Sutton v. United Airlines, Inc.
hatte der Supreme Court über die Rechtmässigkeit der vorinstanzlichen
Abweisung der Klage zweier Bewerberinnen um die Einstellung bei United
Airlines zu entscheiden. Die Klägerinnen litten an einer Sehschwäche, die
jedoch durch entsprechende Hilfsmittel (Kontaktlinsen) ausgeglichen werden
konnte. Dennoch wurden ihre Bewerbungen von United Airlines aufgrund der,
wenn auch vollständig korrigierten, Sehschwäche zurückgewiesen. Mit der
Klage machten die Bewerberinnen eine Diskriminierung i.S.d. Par. 12112,
U.S.C.A., Bd. 42, geltend.
Somit war für den Erfolg der Klage und die
Revision beim Supreme Court entscheidend, ob die Klägerinnen trotz der
Normalisierung ihres Zustands durch die technischen Hilfsmittel als
behindert i.S.d. ADA gelten. Diese Frage hat der Supreme Court aufgrund des
Wortlauts, der Systematik und des Zwecks des Gesetzes verneint. Der Wortlaut
des Par. 12102 (2), U.S.C.A., Bd. 42, der den Begriff der Behinderung i.S.d.
ADA definiert, ist im Indikativ formuliert und gehe damit von einer
gegenwärtigen und tatsächlichen nicht unerheblichen Beeinträchtigung in
einer wichtigen Lebensbetätigung aus. Desweiteren sei nach dem Sinn und
Zweck des Gesetzes die individuelle Situation des einzelnen Betroffenen zu
berücksichtigen. Würde man aber eine hypothetische Beeinträchtigung ohne
Hilfsmittel für massgeblich erklären, müsste man in der Mehrzahl der
Fälle gerade umgekehrt auf allgemeine Gruppenmerkmale zurückgreifen.
Schliesslich besagt das Gesetz in Par. 12102, U.S.C.A., Bd. 42, der
US-Kongress habe festgestellt, dass in Amerika derzeit ca. 43 Millionen
Menschen eine Behinderung i.S.d. ADA aufweisen. Die Zahl der Amerikaner,
deren Zustand ohne Rücksicht auf Korrekturmassnahmen eine Behinderung
i.S.d. ADA darstellen würde, beläuft sich jedoch nach Angaben des Supreme
Court auf ca. 160 Mio. Folglich könne der Gesetzgeber kaum gewollt haben,
dass auch die Personen, deren Behinderung durch technische oder medizinische
Hilfsmittel (nahezu) vollstündig korrigiert werden kann, dem ADA
unterfallen. Dies ergebe sich im übrigen auch aus dem Zweck des Gesetzes,
die Diskriminierung einer Minderheit zu verhindern. Die Klage wurde daher
abgewiesen.
Obwohl das Supreme Court sich mit dieser Entscheidung explizit über eine
Richtlinie der EEOC gegenteiligen Inhalts hinweggesetzt hat (ebenso in der
Parallelentscheidung Murphy v. United Parcel Service), wurde die
Verbindlichkeit der Richtlinien der EEOC im allgemeinen letztendlich
offengelassen. Die EEOC sei jedenfalls nicht dazu ermächtigt, die
Regelungen des allgemeinen Teils des ADA verbindlich auszulegen,
insbesondere der Begriff "Behinderung" sei einer Definition durch das EEOC
nicht zugänglich. Etwas anderes könnte sich jedoch in Bezug auf die
arbeitsrechtlichen Vorschriften unter Titel I des ADA ergeben, da die EEOC
in Par. 12116, U.S.C.A., Bd. 42, ausdrülich zur Herausgabe
gesetzesausführender Richtlinien zu Titel I ermächtigt wird. Dies gilt
allerdings nach dem Wortlaut des Gesetzes nur bis zu einem Jahr nach dessen
Verkündung, d.h. spätestens bis 1991. Darüber hinaus hat der Supreme
Court in jedem Fall das Recht, derartige Richtlinien für verfassungswidrig
zu erklären, sollten diese mit der US-Constitution nicht in Einklang
stehen. Die Entscheidung des Supreme Courts in Sutton v. United Air Lines
und darin enthaltene Äusserungen des Gerichts legen nahe, dass nach 1991
verabschiedete arbeitsrechtliche Richtlinien der EEOC, abgesehen von deren
potentiellen Verfassungswidrigkeit, nur Empfehlungskraft, aber keine
verbindliche Gültigkeit beanspruchen koennen. Eine klärende
höchstrichterliche Entscheidung bleibt jedoch abzuwarten.
Derzeit mangelt es allerdings an Rechtssicherheit, insbesondere in Bezug auf
eine heftig umstrittenen Richtlinie der EEOC, die zu Beginn dieses Jahres
herausgegeben wurde, die u.a. die Reichweite der Pflicht der Arbeitgeber
betrifft, behinderte Arbeitnehmer i.S.d. ADA durch zumutbare Hilfsmassnahmen
wirksam in den Betrieb einzugliedern ("reasonable accommodation") und die
Möglichkeit der Entlastung, wenn und soweit solche Massnahmen eine
unzumutbare Härte ("undue hardship") für den Arbeitgeber bedeuten. In Par.
12111 (10), U.S.C.A., Bd. 42, wird "undue hardship" nur vage definiert,
wobei erheblich Schwierigkeiten oder Kosten unter Berücksichtigung der Art
der erforderlichen Massnahmen, finanziellen Mittel des Unternehmens,
Auswirkungen auf die Arbeitsablaeufe etc. berücksichtigt werden sollen.
Im
Hinblick auf diese unbestimmten Rechtsbegriffe umfassen nach Ansicht der
EEOC notwendige Eingliederungs- und Hilfsmassnahmen als letzten Ausweg
("last resort") sogar die Pflicht zur Tolerierung unbegrenzten
Arbeitsausfalls ( selbstverständlich aus mit der Behinderung
zusammenhüngenden Gründen).Insbesondere sollen sogenannte
"no-fault-policies" (Verfahrensweisen, die die automatische Beendigung des
Arbeitsverhültnisses beinhalten, wenn der behinderungsbedingte
Arbeitsausfall einen vorher bestimmten Zeitraum, meist zw. 18 und 24 Monate,
überschreitet) ausgeschlossen werden. Durch eine damit korrespondierende
restriktive Auslegung der "undue hardship"-Klausel, sowie des Verbotes
aufgrund des Arbeitsausfalls sonstige Strafmassnahmen zu veranlassen, wird
die wirtschaftliche Handlungsfreiheit der Arbeitgeber stark eingeschränkt.
Ausserdem soll nach der EEOC-Richtlinie, ebenfalls als sogenannten "letzten
Ausweg", den Arbeitgeber die Pflicht treffen, freie Arbeitsstellen dazu
qualifizierten Arbeitnehmern anzubieten, die wegen ihrer Behinderung die
wesentlichen Anforderungen an ihrem bisherigen Arbeitsplatz im gleichen
Unternehmen nicht mehr erfüllen koennen. Eine Pflicht des Arbeitnehmers,
mit anderen Bewerbern um diesen Arbeitsplatz in Wettbewerb zu treten, sei
dabei ausgeschlossen. Wiederum bietet eine sehr restriktive Interpretation
des Konzepts der unzumutbaren Härte den Arbeitgeberinteressen nur wenig
Rückhalt.
Eine höchstrichterliche Entscheidung bzgl. der Verbindlichkeit der
Richtlinien des EEOC ist folglich dringend geboten. Diese sollte einerseits
die Interessen der Arbeitgeber, effektive Personalentscheidungen, die der
Produktivität des Unternehmens dienlich sind, zu treffen, berücksichtigen,
andererseits aber auch dem Zweck des ADA, vermeidbare Benachteiligungen
behinderter Arbeitnehmer auszuräumen, gerecht werden.
* Der Verfasser war im September 1999 Praktikant bei der Kanzlei Berliner, Corcoran & Rowe LL.P. in
Washington D.C.und heute wieder an der Uni Trier, wo er Rechtswissenschaften studiert. Er interessiert sich besonders für Handels- und Gesellschaftsrecht, insbesondere auch auf internationaler Grundlage. Auch in Zukunft nimmt er gerne an Praktika mit Schwerpunkt auf diesem Gebiet in Deutschland, anderen europäischen Ländern oder Nordamerika teil.