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US-amerikanisches Wirtschaftsrecht: Gesellschaftsformen
- eine historische Reflexion und tabellarische Darstellungsform -

Veröffentlichung: 2. Januar 2003

von Thorsten Dardat *

Neben dem bei AmerikanischesRecht.com erschienen ausgezeichneten Aufsatz von Friederike Heidmeier zum US-amerikanischen Gesellschaftsrecht ist die diesem Beitrag über die Geschichte des amerikanische Gesellschaftsrechts angefügte Tabelle als schneller Überblick über die wichtigsten Gesellschaftsformen nach US-Recht gedacht. Überdies ist das Werk von Hanno Merkt: US-Gesellschaftsrecht, besonders empfehlenswert. Der nachfolgende kurze Abriß der Geschichte des US-amerikanischen Gesellschaftsrechts ist daran angelehnt.

Vielfach muß der Blick für die Bedeutung rechtsgeschichtlicher Abhandlungen erst geschärft werden. Die Notwendigkeit von Geschichtskenntnissen als Teil der Rechtsfindung wird allzu oft unterschätzt. Das hat seine Grund darin, daß man beim deutschen Recht auf die Erfahrungen des Alltags zurückgreifen kann, um die bestehende Rechtslage zu begreifen. Nähert man sich einer ausländischen Rechtsmaterie, fällt der Abgleich mit der Wirklichkeit sehr viel schwerer und ist meist auf den Vergleich mit der vertrauten Rechtsmaterie beschränkt. Um so mehr ist beim Erlernen fremden Rechts die Berücksichtigung der historischen Entwicklungsstufen hilfreich.

1. Die Geschichte des nordamerikanischen Gesellschaftsrechts ist im wesentlichen die Geschichte der Rechtskörperschaften. Die den Personengesellschaften vergleichbaren partnerships sind zwar im 19 Jhd. die wichtigste Gesellschaftsform gewesen. Um jedoch die wirtschaftliche Dominanz amerikanischer Gesellschaften von heute zu verstehen, ist die Betrachtung des Werdegangs der corporations entscheidender.

Seinen Ursprung hat das US-amerikanische Gesellschaftsrecht im englischen common law. Entsprechend anderen kontinentaleuropäischen Rechtstraditionen waren die Kaufmannsgilden der Neuzeit Vorläufer aller sich entwickelnden Gesellschaftsformen. Aus dem älteren römischen Recht entstammt das Korporationssytem als die Möglichkeit der Schaffung von rechtsfähigen Gebilden im Rahmen kaufmännischer Tätigkeit. Die Verbindung des Korporationssystems mit dem Sytem der staatlich kontrollierten Gründung von Kaufmannsgilden führte zum Konzessionssytem des common law. Darin wurde die Rechtsfähigkeit der Gesellschaften durch königlichen Verleihungsakt als charter hergestellt und dadurch eine corporation geschaffen. Eine andere Möglichkeit einer nach unserem Verständnis rechtsfähigen Gesellschaftsgründung bestand in der Inkorporierung durch Parlamentsbeschluß, daher incorporation. Mit ! Gründung einer rechtsfähigen Gesellschaft blieb jedoch die Haftung der Gesellschafter bestehen; noch war das Rechtsbewußtsein für die Notwendigkeit einer Haftungsbeschränkung bei kaufmännischer Tätigkeit nicht entwickelt.

Im kolonialbegierigen England des 17. und 18. Jahrhunderts haben sich zwei Korporationstypen zur Befriedigung der Macht- und Wirtschaftsinteressen von Krone einerseits und den wirtschaftlich Tätigen andererseits herausgebildet:

a) Die Überseehandelsgesellschaften nahmen die Befriedigung beider Interessenlager durch ihre Aufgabenzwitterstellung in besonders markanter Weise auf. Die königliche Gründungscharter beinhaltete neben der Korporierung auch die Übertragung hoheitlicher Befugnisse, zwecks Ersetzung fehlender exekutiver Gewalt der Krone in den neuen Kolonialgebieten. Dafür wurde das Handelsprivileg für bestimmte Güter aus den Kolonien zugunsten der hinter der Gesellschaft stehenden Kaufleute gewährt. Handelsgesellschaften hatten zu Beginn fest umrissene Aufgabenstellungen von der Krone erhalten, was sich in ihrem Namen ausdrückte. Die Wahrnehmung staatlicher Funktionen wich später dem Ziel der Förderung des privaten Handels und Mehrung des Reichtums der Anteilseigner.

b) Die joint stock companies bildeten das Pendant zu den Überseehandelsgesellschaften auf englischem Territorium. Da sie nicht (auch) mit der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben betraut wurden, unterstanden sie recht schnell nicht mehr einer starken staatlichen Reglementierung im Vergleich zu den Überseehandelsgesellschaften. Eine Gründung konnte bereits durch Vertrag erfolgen, nicht selten unter zur Hilfenahme der charter einer sich auflösenden oder beendeten Gesellschaft. Damit konnte eine Rechtspersönlichkeit des Handelsverkehrs auch ohne Inkorporationsakt geschaffen werden.

2. Die Überseehandelsgesellschaften standen auch am Anfang der amerikanischen Geschichte. Durch sie wurden wie zu jeder anderen Kolonie des Empires die ersten Verbindungen gefestigt und zu Handelswegen ausgebaut. Alsbald erfolgte gar die charter-Verleihung nicht mehr durch die britische Krone selbst, sondern die Gouverneure der Kolonien des amerikanischen Kontinents.

Mit den sich von der Krone emanzipierenden Kolonien und späterer Abspaltung fand ein Systemwechsel in der Struktur der Gesellschaftsformen zugunsten der noch heute gängigen business corporation als Grundtyp der Korporationen statt. Die Legislativgewalten des neuen Kontinents setzten das Recht zur Gründung von Gesellschaften zum Betrieb des Handels allein durch Vertrag, ohne das Erfordernis einer Legitimation kraft Inkorporierung nach britischem Muster. Hintergrund ist die seit der Unabhängigkeitserklärung spätestens zum Ausdruck gekommenen Auffassung des neuen Kontinents, daß es das freie Recht eines jeden ist - Sklaven und wohl auch Frauen zu diesem erdgeschichtlich noch jungen Zeitpunkt einmal ausgenommen - eine corporation zu gründen.

Trotz der freiheitlichen Rechtsauffassung einer Vertragsgründung von Korporationen ist der weitere Geschichtsverlauf durch Regulierungswellen im Gesellschaftsrecht gekennzeichnet. Das Gesellschaftsrecht ist bis heute Recht der Bundesstaaten, die zunächst die Korporationsgründung strengen Reglementierungen unterwarfen. Eine erste Wende erfolgte mit der Ausbildung eines Binnenhandels zwischen den Staaten des nordamerikanischen Kontinents im 19. Jahrhundert. Um Kapital in den Bundesstaaten zur Entwicklung einer prosperierenden Wirtschaft halten zu können, begann ein Wettlauf der Deregulierung mit dem Ziel, den Sitz möglichst vieler Gesellschaften im jeweiligen Bundesstaat anzusiedeln. Staaten wie Maine, Delaware und West Virginia traten als Staaten mit besonders liberalem Gesellschaftsrecht hervor und sind es vergleichsweise auch heute noch.

Der ausufernden Deregulierung begegnete man sowohl auf Ebene der Einzelstaaten und, von Verfassungs wegen, beschränkt auch auf Bundesebene in der ersten Zeit des 20. Jahrhunderts durch Auferlegung restriktiverer Erfordernisse (wie beispielsweise Heraufsetzung des Mindestkapitals) für die Gründung von rechtsfähigen Gesellschaften.

Die mannigfaltigen externen Einflüsse auf das Gesellschaftsrecht ließen die Binnenstruktur der business corporation nicht unberührt. Anfangs kam der Rechtspersönlichkeit der corporation weit weniger Bedeutung zu, als dies den Anschein zu geben vermag. Vielmehr standen sich die Gesellschafter mit der business corporation bipolar dem die corporation leitenden board of directors als Institutionen gegenüber. Die Kapitalgeber benutzten eine corporation zur Tätigung ihrer Geschäfte, waren aber in dem Bewußtsein ihrer Unternehmensführung wohl eher Einzelkaufleute; letztlich ist das ein Ausdruck mangelnder Professionalität. Einem sich ausweitenden (Binnen-)Markt zwischen Ost- und Westküste mit einem bislang nicht gekannten Wirtschaftspotential zur extremen Bereicherung einzelner Geschäftstätiger konnte damit keinesfalls begegnet werden. Ob dies allein der Grund für die Verselbständigung de! r corporation von den Kapitalgebern war oder es ein verändertes Rechtsbewußtsein für juristische Rechtspersönlichkeiten zur Wende des 19. zum 20. Jahrundert war, läßt sich nicht nachvollziehen. Entscheidend für die heutige Rechtskenntnis ist, die business corporation hat einen Verselbständigungsprozeß durchgemacht, bei dem zuerst die Kapitalgeber auf ihre Finanzierungsfunktion zurückgedrängt wurden, unter Ausbildung stärkerer Eigenverwaltung der corporation durch das board of directors. In einem weiteren Schritt fand eine Entlastung des board of directors durch teilweise extreme Ausprägung von tieferen Mangement-Hierarchien bis hin zu den heute geläufigen executive officers statt. Durch Schaffung vieler unterer Managementebenen wurde die oberste Unternehmensleitung entlastet und die wirtschaftliche Betätigung mittels einer corporation professionalisiert.

Ich stelle an dieser Stelle die Behauptung auf, daß die von deutschen Unternehmen aus dem Amerikanischen adaptierte Titelflut verschiedenster presidents, managers, managing directors etc. ihren Ursprung in dem internen Strukturwandel der business corporation hat und für ganz ähnlich ausgeprägte Hierarchien deutscher Gesellschaften vermeintlich neuen Schwung durch nicht immer zutreffende (lediglich) neue Begrifflichkeiten versprechen soll. Dem Umstand einer - wie die Geschichte lehrt - marktgegebene notwendigen Veränderung der Unternehmensführung wird mit Titeln selten Rechnung getragen. Ich sehe in diesem Zusammenhang mangelndes Bewußtsein auf deutscher Unternehmerseite für den Hintergrund von Titeln und Untertiteln im amerikanischen Management als Reaktion auf den riesigen Binnenmarkt der USA.

3. Das Grundverständnis für das US-amerikanische Gesellschaftsrecht wird durch eine tabellarische Zusammenfassung wichtigster Aspekte heute vorherrschender Gesellschaftsformen abgeschlossen.




Tabelle: US-Gesellschaftsformen.pdf




* Der Verfasser ist Rechtsreferendar und war Student der Rechtswissenschaft in Heidelberg. Ferner studierte er Jura in Göttingen und Nottingham (GB). Von August bis Oktober 2000 verbrachte er praktische Studienzeit in der Kanzlei Berliner, Corcoran & Rowe LL.P., Washington D.C., wo er sich mit Problemen des deutschen und US-amerikanischen Markenrechts mit Bezug zum Internet auseinandersetzte. Weitere Studienschwerpunkte sind das Gesellschafts- und Urheberrecht und der Gewerbliche Rechtsschutz.