German American Law Journal :: Articles Edition
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Der Litigator im amerikanischen Prozess


Erstveröffentlichung 30. Juni 2013
Von Philipp Brüggemann und Torsten Tomaschek *


Fernseh-Anwälte wie Perry Mason, Ally McBeal oder Danny Crane haben es zu Weltruhm gebracht: Ihre größten Stärken sind ein gewitzter Verstand und ein unsagbares Redetalent, um die Geschworenen durch humorvolle und packende Plädoyers auf ihre Seite zu ziehen. Nebenher ziehen sie sämtliche Register des Prozessrechts und stellen meist die richtigen, teils auch schlichtweg absurd-skurile, Anträge, um den Richter und die Geschworenen zu verwirren. In Amerika wird das Recht in der Manege des Gerichtssaals durch den Anwalt wie in einem Zirkus erfochten - so der Eindruck. Dies gibt jedoch nur einen sehr kleinen Teil der anwaltlichen Tätigkeit wieder.

Dem treuen Leser des German American Law Journal - US-Recht auf Deutsch ist bekannt, dass die Unterschiede zwischen dem deutschen und dem amerikanischen Rechtssystem, in materieller und prozessualer Hinsicht, mannigfaltig sind. Mit den Organen der Rechtspflege verhält es sich nicht anders. Das amerikanische Rechtssystem ist nicht unbedingt spannender, es gibt schlichtweg abweichende Gepflogenheiten. Eine dieser Usancen stellt die ausgeprägte Unterscheidung von Prozessanwälten, den sogenannten Litigators, und rein beratend tätigen Anwälten1 dar.

Zwar gibt es auch im deutschen Recht seit Jahren einen Trend zu fortwährender Spezialisierung zu beobachten, und einige Anwälte haben sich ausschließlich auf die Prozessführung spezialisiert. Die strikte Trennung, wie sie in den USA zumindest praktisch erfolgt, ist dem deutschen Anwaltsverständnis jedoch nach wie vor fremd. In der Regel erfolgt die Spezialisierung auf einzelne Rechtsgebiete, ist also auf den Streitgegenstand bezogen, und Prozessspezialisten werden nur in Großverfahren eingeschaltet. Anders in den USA. Manege frei für den Litigator.

Der Lawyer in einer US-Fernsehserie ist in aller Regel ein Prozessanwalt. Doch Amerikaner lieben es, in jeder Lebenslage Experten zu engagieren. Viele Litigators spezialisieren sich noch einmal auf ein bestimmtes Tätigkeitsfeld innerhalb des Prozesses, denn der amerikanische Prozessanwalt ist nicht nur im Gerichtssaal gefordert. Oftmals geht es darum, genau diesen Gang und die Begegnung mit einer Jury zu vermeiden.

I. Hintergrund

Interessanterweise trifft das amerikanischen Rechtssystem, anders als in vielen anderen Rechtskreisen des Common Law (z.B. England) und auch in einigen Rechtskreisen des Civil Law (z.B. Frankreich), keine strikte systematische oder berufsrechtliche Unterscheidung zwischen vor Gericht auftretenden und nur außergerichtlich tätigen Anwälten. Der Litigator ist somit kein Barrister wie in England - eigentlich.

Die Differenzierung ergibt sich aus rein praktischen Erfordernissen der unterschiedlichen Prozessordnungen im amerikanischen Rechtssystem. Der Bund, die 50 Staaten, der District of Columbia mit der Hauptstadt Washington, DC etc. - sie alle verfügen über eine eigene Verfahrensordnung, die es zu beherrschen und zu Gunsten des Mandanten zu nutzen gilt. Die Herausbildung von Fachleuten liegt daher auf der Hand. In gerichtlichen Auseinandersetzungen oder deren Anbahnung übernimmt der Litigator das Zepter und den prozessualen Part des Rechtsbeistandes.

II. Die verschiedenen Berufsfelder des Litigators

Doch nicht jeder Litigator entspricht der verbreiteten öffentlichen Vorstellung von dem wortgewandten Prozesshai - in amerikanischen Karikaturen übrigens gerne als Alligator dargestellt. Vielmehr gibt es auch hier diverse Spezialisierungen, um den unterschiedlichen Anforderungen der verschiedenen Prozessphasen gerecht zu werden, und die Mehrzahl der Litigators sieht nur selten einen Gerichtssaal von innen. Sie befasst sich ausschließlich mit den gerichtlichen Schriftsätzen. Deren Schreibstil ist sehr anders als in Deutschland, aber nicht minder komplex. Es geht darum die Gegenseite zum Schwitzen zu bringen, ohne ihr jedoch Munition für den Prozess zu liefern, was dem deutschen Prinzip der Substantiierung oftmals entgegenläuft.

Einige Litigators haben sich zusätzlich besonders auf die Vertretung von Klägern eingestellt, andere hingegen auf die von Beklagten. Bei den tatsächlich vor Gericht auftretenden Litigators wird unter Umständen noch einmal zwischen den Fakten präsentierenden Trial Attorneys und den mit Rechtsproblemen befassten Appellate Attorneys unterschieden.

Wie bereits erwähnt, sind all diese Unterschiede jedoch nicht zwingend vorgegeben, sondern haben sich aus den unterschiedlichen Anforderungsprofilen - auch denen individueller Kanzleien - und dem fortschreitenden Bedürfnis nach Spezialisierungen entwickelt.

III. Die einzelnen Stagen der Litigation

Was genau in den Aufgabenbereich der Litigators fällt und im Zweifel das für den Mandanten zusätzlich anfallende Honorar rechtfertigt, als ob der amerikanische Prozess nicht kostspielig genug wäre, lässt sich gut anhand des Ablaufs des Prozesses und seiner einzelnen Abschnitte nachzeichnen. Der folgende Überblick beschränkt sich dabei primär auf den Zivilprozess und dabei auf Wirtschaftsstreitigkeiten.

Die Aufgaben des Litigators können bereits vor dem Prozess beginnen um herauszufinden, ob überhaupt genügend Beweismittel für ein erfolgreiches Verfahren beschafft werden können. Ihm obliegt also die Untersuchung und Beurteilung des potentiellen Streitfalles und seiner Erfolgsaussichten in tatsächlicher Hinsicht. Für die Verteidigung eines potentiellen Beklagten gilt es ebenso herauszufinden, welche Beweise existieren. Es müssen Zeugen aufgespürt, Aussagen aufgenommen, Dokumente beschafft und der Mandant befragt werden, um die Fakten zu erforschen und zusammen zu tragen.

Und auch wenn sich die Parteien - wie so oft - bereits in diesem Stadium vor Klageerhebung außergerichtlich einigen, werden häufig Litigator zu den Verhandlungen hinzugezogen, um die Prozesschancen und -risiken einbeziehen zu können.

Wenn Klage erhoben werden soll, sind ein Ladungsschreiben, Summons, und eine Klageschrift mit den begründenden Tatsachen, Complaint, zu verfassen. Gelegentlich wird der Complaint auch nur als Warnschuss der Gegenseite übersandt. Im Bundesrecht kann dies auch als Notice Pleading, ohne Substantiierung aber mit Beweisangeboten erfolgen. Sobald das Verfahren begonnen hat, obliegt dem Litigator auch alle weitere Kommunikation mit dem Gericht und die Erstellung entsprechender Schriftsätze und Anträge bzw. dem Beklagten-Litigator die Ausarbeitung einer Klageerwiderung, Response.

Eine gewichtige Rolle spielt die Expertise des Litigator in der dem deutschen Juristen besonders fremden Discovery. Das Ausforschungsbeweisverfahren findet noch vor dem Gang vor Gericht statt. Es ist häufig der längste und arbeitsintensivste Abschnitt des Verfahrens, in dem kisten- oder waggonweise Papier produziert wird, um im Worst Case des Juryprozesses eine gute Beweislage in der Hinterhand zu haben. Dem Litigator obliegt die Handhabung der verschiedenen prozessualen Mittel, die der Partei in der Discovery zur Verfügung steht. Mit ihnen versucht er Informationen zu erlangen, Problemfelder aufzudecken und eine Prozesstaktik zu entwickeln. Kernelemente des Ausforschungsbeweisverfahrens sind die Interrogatories, die Depositions und der Request for Production.

Nur in wenigen Fällen kommt es überhaupt zum Trial mit mündlicher Verhandlung im Gericht, der dann entweder vor einer Jury oder einem Richter geführt wird und dessen Vorbereitung und Durchführung ebenfalls dem Litigator obliegt.

Das Verfassungsrecht auf einen Prozess2 vor einer Jury hat zur Folge, dass diese Peers dann zunächst bestimmt werden müssen. Die Jury muss gebildet werden und die jeweilige Partei ist erpicht darauf, möglichst wohlwollende Juroren zu erhalten. Ein Voir Dire-Verfahren - abgeleitet von "die Wahrheit sagen" - wird durchgeführt, in dem potentielle Geschworene zu ihrer Person befragt und auf etwaige Voreingenommenheit abgeklopft werden.

Mit Beginn des Trial widmet sich der Litigator der Aufarbeitung des Streitstoffes vor dem Richter und gegebenenfalls der Jury. Es muss mit Experten und Mandant das Vorgehen abgestimmt und auf Schwächen und Stärken reagiert werden. Es muss überzeugend vorgetragen werden, Zeugen wollen vorbereitet, Anträge entworfen und diskutiert sein. Durch Beweise und Vortrag muss der entscheidenden Jury oder dem Richter eine überzeugende Geschichte präsentiert werden. Es werden Eröffnungs- und Abschlusserklärungen abgegeben, Zeugen werden verhört und ins Kreuzverhör genommen.

Hier entspricht der Prozess unter Umständen einmal seiner Wahrnehmung in der Öffentlichkeit, und es liegt nahe, dass hier ein anderer Typ Anwalt erforderlich ist als etwa bei der vorsichtigen und gewissenhaften Prüfung eines Vertrages. Die überzeugende Präsentation des Streitstoffes vor dem Richter, unter Umständen die richtige Handhabe einer Jury und die Vernehmung von Zeugen gehören zum Repertoire des an dieser Stelle gefragten Litigators und wollen beherrscht sein.

Das bisweilen professoral anmutende Selbstverständnis der amerikanischen Richter gegenüber den agierenden Anwälten erfordert eine Sicherheit im Umgang mit dem im jeweiligen Gericht geltendem Prozessrecht, die nur durch Routine und gefestigtes Wissen der prozessualen Möglichkeiten erlangt werden kann. Denn der Richt darf dem Anwalt jederzeit ins Wort fallen und Fragen an ihn richten, während dieser die Unterbrechung demütig zu ertragen und dann die passende Antwort parat zu haben hat.

Wie bereits geschildert, endet die weit überwiegende Zahl der Prozesse aber in Vergleichen, um die Prozesskosten und -risiken zu begrenzen, an denen auch die Prozessanwälte genauso teilnehmen wie an Schieds- oder Mediationsverfahren.

Bei negativem Ausgang des Verfahrens ist der Litigator auch für die Berufung zuständig. Auch hier gibt es bei großen Verfahren bzw. schwierigen, komplexen Rechtsfragen Spezialisten, die sich ausschließlich mit dieser Art des Prozesses und seinen Eigenheiten befassen.

IV. Der kritische Blick

Die Spezialisierung der Anwaltschaft in Litigator und beratend tätige Anwälte hat seine großen Stärken. Die Trennung der materiell-rechtlichen Vorarbeit von der Prozessarbeit hat jedoch zur Folge, dass der Konsiliaranwalt den Fall auch nach Übergang in die Hände des Litigators genau verfolgen muss, wenn optimale Ergebnisse für den Mandanten erzielt werden sollen.

Oft fehlt dem Litigator der Überblick über die Verästelungen der materiellen Problematik. Diese ergeben sich zu einem Großteil aus der konkreten Sachlage beim Mandanten und dessen oft komplexen Interessen und Beziehungen zur Gegenseite. Diese sind dem unter Umständen den Mandanten schon über einen erheblichen Zeitraum begleitenden Anwalt hoffentlich bestens vertraut. Nicht jedoch dem Litigator, der erst im Streitfall und bei drohender Eskalation eingeschaltet wird.

Der Litigator steht auch in erster Linie im Kontakt mit den materiell prüfenden Anwälten und ist mit den Interessen des Mandanten, insbesondere denen, die keiner rechtlichen Beurteilung zugänglich sind, folglich nicht vertraut. Es ist daher an dem Konsiliaranwalt, den Litigator zu steuern und dessen Vorgehen zu kontrollieren. Er steht auch gegenüber dem Mandanten in der Verantwortung.

Allzu oft droht der Prozessanwalt über das Ziel hinaus zu schießen und alternative Lösungen zu vernachlässigen. Dazu trägt auch bei, dass die Litigators im Rechtsstreit - ob aus eigenem Selbstverständnis oder weil vom Mandanten erwartet - sich als aggressive Verhandler profilieren wollen. Wo dies nicht zielführend ist, muss gerade der beratende Konsiliaranwalt gegenwirken und Perspektiven aufzeigen. Denn das Denken des Prozessanwalts mündet in ein Gewinnen oder Verlieren. Der beratende Anwalt, der im wirtschaftlichen Bereich tätig ist, sieht Verhandlungen eher als ein Geben und Nehmen. Er hat den besseren Überblick, was es bedeuten könnte, weniger Wichtiges zu geben und dafür essentiell Wichtiges im Gegenzug zu erlangen.


Fußnoten

1  Im deutschen Verständnis umfasst dies sowohl beratende Konsiliaranwälte als auch (vertrags)gestaltende Kautelarjuristen.

2  Strafsachen: 6. Verfassungszusatz http://www.usconstitution.net/xconst_Am6.html Zivilsachen: 7. Verfassungszusatz http://www.usconstitution.net/xconst_Am7.html

* Die Verfasser sind Absolventen der Rechtswissenschaften, mit Studium an der Freien Universität Berlin (Brüggemann) und der Humboldt Universität zu Berlin (Tomaschek). Dieser Bericht entstand während ihres Aufenthalts in Washington D.C., wo sie bei Berliner, Corcoran & Rowe, LLP unter der Leitung vom deutsch-amerikanischen Rechtsanwalt Clemens Kochinke, Attorney at Law, die Wahlstation ihres Rechtsreferendariats absolviert haben.


Zitierweise / Cite as: Brüggemann & Tomaschek, Der Litigator im amerikanischen Prozess, 22 German American Law Journal (30. Juni 2013), http://www.amrecht.com/der_litigator_usa.shtml


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