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SUPREME COURT KLäRT: DER SCHUTZ VON ARBEITNEHMERN DURCH DEN FMLA

Supreme Court klärt: Der Schutz von Arbeitnehmern durch den FMLA — was Arbeitgeber beachten müssen

von Florian Hauswiesner*

Der Supreme Court in Washington D.C. hat neulich eine wichtige Entscheidung (Ragsdale v. Wolverine World Wide (122 S.Ct.1155 (U.S.2002)) getroffen, welche die Rechte des Arbeitnehmers im Falle von Krankheit oder Schwangerschaft und die Pflichten des Arbeitgebers diesbezüglich konkretisierte. Diese Entscheidung geift vorher umstrittene Rechtsfragen aus dem amerikanischen Arbeitsrecht auf und trägt wesentlich zur Rechtssicherheit bei.

1. Arbeitnehmerschutz in den USA?

Entgegen der landläufigen Meinung in Europa und insbesondere in Deutschland, wonach es in den USA ein System des „Hire & Fire" gibt, in dem der Arbeitnehmer keinerlei Rechte hat, gibt es auch hier eine Gesetzgebung, die versucht, den Arbeitnehmer vor sozial ungerechtfertigten Entlassungen zu schützen. Dabei wird allzu leicht übersehen, dass bereits im Jahre 1990 der Americans with Disabilities Act (ADA; Par. 12101 ff., United States Codes Annotated (U.S.C.A.), Band 42) geschaffen wurde, welcher behinderte Arbeitnehmer vor Diskriminierungen in der Privatwirtschaft und auf staats- und lokaler Ebene schützt und den im Jahr 1991 überarbeiteten Civil Rights Act, der den Civil Rights Act von 1964 abändert und Schadensersatzansprüche bei Diskriminierungen in Beschäftigung und Beruf vorsieht.

Dies geschah bereits zu einem Zeit, in der auf europäischer Ebene vergleichbare Regelungen nicht existierten. Eine ähnliche, europaweite Regelung wurde erst mit der Richtlinie zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf geschaffen, welche Ende des Jahres 2000 vom Europäischen Rat verabschiedet wurde und bis zum 2.12.2003 in nationales Recht umgesetzt werden muss.

2. Der FMLA

Unter den diversen Arbeitnehmerschutzgesetzen ist insbesondere der Family and Medical Leave Act (FMLA; Par. 2601 ff., United States Codes Annotated (U.S.C.A.), Band 29) aus dem Jahre 1993 hervorzuheben, welcher einen Arbeitnehmer davor schützt, wegen einer Abwesenheit aus Krankheit oder Schwangerschaft, entlassen zu werden.

Der Supreme Court in Washington D.C. hat dieses Gesetz in der Ragsdale v. Wolverine World Wide-Entscheidung (122 S.Ct.1155 (U.S.2002)) ausgelegt, indem er die Pflichten des Arbeitgebers aus dem FMLA weiter konkretisierte.

2.1 Anwendungsbereich

Der FMLA garantiert einem qualifizierten Arbeitnehmer das Recht, bis zu 12 Arbeitswochen innerhalb eines Zeitraums von 12 Monaten vom Arbeitsplatz fern zu bleiben, wenn mindestens eine der in Par. 2612 (a) (1), U.S.C.A., Bd. 29 aufgeführten, folgenden Voraussetzungen vorliegt:

a) die Geburt eines Kindes und die Pflege des Neugeborenen;

b) die Annahme eines Kindes durch den Arbeitnehmer zum Zwecke der Adoption oder der Aufnahme eines Pflegekindes;

c) eine schwere Krankheit eines Familienangehörigen;

d) eine schwere Krankheit des Arbeitnehmers.

Unter den persönlichen Anwendungsbereich ("eligible employee") des FMLA fallen dabei nur Arbeitnehmer, die mindestens 12 Monate bei dem Arbeitgeber beschäftigt sind und innerhalb der letzten 12 Monate mindestens 1250 Arbeitsstunden für diesen gearbeitet haben (Par. 1611 (2)(A), U.S.C.A., Bd. 29).

Vom persönlichen Anwendungsbereich des FMLA grundsätzlich ausgeschlossen sind Arbeitnehmer, die bei einem Arbeitgeber beschäftigt sind, der innerhalb eines Umkreises von 75 Meilen weniger als 50 Arbeitnehmer beschäftigt, wobei dies für mindestens 20 Arbeitswochen des laufenden oder vorherigen Kalenderjahres der Fall gewesen sein muss. Für Bundesbedienstete existieren eigene Regelungen der zuständigen Stellen (Par. 1611 (2)(B), U.S.C.A., Bd. 29)

Staatliche Stellen, auf bundesstaatlicher oder lokaler Ebene sowie private und öffentliche Schulen sind dabei von dem Erfordernis einer Mindestarbeitnehmerzahl ausgenommen.

2.2) Der FMLA und einzelstaatliche Regelungen

Der auf bundesstaatlicher Ebene geltende FMLA hindert die Einzelstaaten nicht daran, eigene vergleichbare gesetzliche Regelungen zu schaffen. Es gilt dabei das Prinzip, dass im Falle, dass einzelstaatlichen Regelungen dem Arbeitnehmer weniger Schutzrechte garantieren als das FMLA, der Arbeitnehmer sich auf die entsprechenden Regelungen des FMLA berufen kann. Dies folgt aus Par. 2651 (b) U.S.C.A., Bd. 29, welcher ausdrücklich auf das Recht von Einzelstaaten hinweist, gesetzliche Regelungen zu schaffen, welche größzügigere Regelungen enthalten als das FMLA.

Eine Reihe von Bundesstaaten hat dabei von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.

Arbeitgeber haben dagegen nicht die Möglichkeit, sich auf weniger arbeitnehmerfreundliche, einzelstaatliche Regelungen zu berufen, was aus dem Umkehrschluss gefolgert werden kann, dass der Arbeitgeber berechtigt ist, arbeitnehmerfreundlichere, innerbetriebliche Regelungen zu erlassen (Par. 2653 U.S.C.A., Bd. 29).

Dieses Prinzip basiert auf der Intention des Bundesgesetzgebers, dass das FMLA auf nationaler Ebene soziale Mindeststandards setzen soll, wie dies auch aus der Gesetzesbegründung hervorgeht (Par. 2601(b)(4) U.S.C.A., Bd. 29)

Aus dem Nebeneinander von einzel- und bundesstaatlichen Regelungen können sich für den Arbeitnehmer zusätzliche, positive Auswirkungen ergeben:

So existiert beispielsweise in New Jersey der Family Leave Act (FLA), der keine Regelung für den Fall der Krankheit des Arbeitnehmers vorsieht.

In einem solchen Fall kann ein Arbeitnehmer bei schwerer Krankheit 12 Wochen des FMLA in Anspruch nehmen und zusätzlich bis zu 12 Wochen des FLA wegen der Geburt eines Kindes oder aber des schlechten Gesundheitszustandes eines nahen Familienangehörigen.

Besonderheiten ergeben sich daneben für Arbeitnehmer mit Behinderungen, denen über das FMLA hinausgehende Rechte aus dem Americans with Disabilities Act zustehen können.

Die einzelstaatlichen Regelungen bieten dem Arbeitnehmer in der Praxis die selben Rechte, wie das bundesstaatliche FMLA, so dass eine krankheits- oder familienbedingte Abwesenheit aus den in dem FMLA aufgeführten Gründen regelmäßig unter beide Regelungen subsumiert werden kann.

2.3 Erfordernis der öffentlichen Bekanntgabe

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die in dem FMLA garantierten Arbeitnehmerrechte öffentlich sichtbar in dem Betrieb auszuhängen, wofür das Arbeitsministerium (Department of Labor; "DOL") einen Musterleitfaden herausgegeben hat.

Bei einem vorsätzlichen Verstoß gegen diese Vorschrift kann der Arbeitgeber mit einer Geldbuße bis zu US$ 100,- bestraft werden.

Als weitere Konsequenz hatte der Arbeitnehmer das Recht, neben der bereits genommenen Abwesenheitszeit weitere 12 Wochen FMLA-Abwesenheitszeit zu bekommen.

Im Falle, dass der Arbeitgeber einen schriftlichen Leitfaden für seine Arbeitnehmer heraus gibt, muss dieser den Wortlaut des FMLA beinhalten. Falls es einen solchen nicht gibt, muss der Arbeitnehmer über seine Rechte aus dem FMLA spätestens dann informiert werden, wenn die Voraussetzungen einer FMLA-Arbeitsunterbrechung vorliegen.

2.4) Rechte des Arbeitnehmers

Falls der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Beginns der Arbeitsunterbrechung in den Genuss von „employment benefits" kam, ist der Arbeitgeber verpflichtet, diese in der selben Höhe weiter zu entrichten, wie dies der Fall wäre, wenn der Arbeitnehmer weiter arbeiten kommen würde. Diese umfassen unter anderem Leistungen des Arbeitgebers betreffend Lebens-, Kranken- und Arbeitsunfähigkeitsversicherung (Par. 2611 (5) U.S.C.A., Bd. 29).

Der Arbeitnehmer hat das Recht, bei Wiederaufnahme der Arbeit seinen alten Arbeitsplatz wieder zu erhalten oder aber einen vergleichbaren Arbeitsplatz, der den gleichen Lohn, die gleichen Nebenleistungen und die gleiche Verantwortung bietet, wie der alte (Par. 2614 (a) (1) (2) U.S.C.A., Bd. 29).

Der Arbeitnehmer hat zum Zeitpunkt seiner Abwesenheit keinen unmitelbaren Anspruch auf Lohnfortzahlung aus dem FMLA, aber der Arbeitgeber muss diesen weiterzahlen, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit wieder aufnimmt. Hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, dann ändert der FMLA an dieser Pflicht des Arbeitgebers nichts (Par. 2612(d (1) U.S.C.A., Bd. 29).

2.5) Pflichten des Arbeitnehmers

Falls die Arbeitsunterbrechung vorhersehbar ist, muss der Arbeitnehmer den Arbeitgeber 30 Tage vor seiner Abwesenheit informieren, dass er einen entsprechenden Sonderurlaub beabsichtigt (Par. 2612 (e), U.S.C.A., Bd. 29).

Ist dies aus der Natur des Abwesenheitgrundes nicht möglich, muss der Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber so bald wie möglich informieren (Par. 2612 (e) (2), U.S.C.A., Bd. 29).

Der Arbeitnehmer muss dem Arbeitgeber die nötigen Krankheitsnachweise seines Arztes zu kommen lassen, aus denen hervorgehen muss, dass er nicht arbeitsfähig ist.

Ebenso obliegen dem Arbeitnehmer Auskunftspflichten der Art, dass er seinem Arbeitgeber regelmäßig unterrichten muss, wie sich seine gesundheitliche Lage darstellt und wann mit er beabsichtigt, seine Arbeit wieder aufzunehmen.

2.6) Rechtliche Möglichkeiten des Arbeitnehmers

Der FMLA gibt dem Arbeitnehmer das Recht, bei dem Arbeitsministerium (Wage and Hour Division) eine Beschwerde einzureichen oder aber eine zivilrechtliche Klage zu erheben.

Während dieser Zeit darf der Arbeitnehmer weder entlassen noch auf sonstige Art und Weise diskriminiert werden gemäß (Par. 2615 (b), U.S.C.A., Bd. 29).

3. Die Ragsdale v. Wolverine World Wide-Entscheidung

Die Ragsdale v. Wolverine World Wide-Entscheidung des Supreme Court (122 S.Ct.1155 (U.S.2002)) hat kürzlich den Fall entschieden, dass eine Arbeitnehmerin, länger als 18 Arbeitswochen der Arbeit fern blieb und um eine weitere Verlängerung der Arbeitsunterbrechung gebeten hatte, was von ihrem Arbeitgeber abgelehnt wurde. Dieser drohte ihr mit Entlassung, wenn sie ihre Arbeit nicht unverzüglich wieder aufnimmt.

Die Klägerin begründete ihre Klage damit, dass der Arbeitgeber ihr zusätzliche Arbeitswochen zubilligen müsse, da er es versäumt habe, ihr nach Ablauf von 12 Wochen mitzuteilen, dass er die Fehltage als FMLA-Abwesenheit ansieht.

Der Supreme Court wies die Klage als unbegründet ab.

Zwar wies das oberste Bundesgericht darauf hin, dass der Arbeitnehmer eine Mitteilungspflicht dahingehend habe, dem Arbeitnehmer mitzuteilen, wenn dessen Abwesenheit als FMLA-Abwesenheit eingestuft wird. Ebenso müsse er dem Arbeitnehmer unmittelbar, das heißt innerhalb von 2 Werktagen, mitteilen, wenn dieser wegen einer der in dem FMLA aufgeführten Gründe der Arbeit fernbleibt, dass seine Abwesenheit als FMLA-Abwesenheit eingestuft wird.

Im gleichen Urteil wird jedoch auch hervorgehoben, dass der Arbeitgeber nicht dazu verpflichtet ist, dem Arbeitnehmer über 12 Arbeitswochen hinaus gehend, ein Fernbleiben zu gestatten, selbst wenn er es versehentlich versäumt hat, den Arbeitnehmer darauf hin zu weisen, dass sein Fernbleiben als FMLA-Abwesenheitszeit gewertet wird.

Dies war eine Befürchtung, die Arbeitgeber vor der Ragsdale-Entscheidung hatten, da dieser Fall von der Rechtsprechung bis dato ungeklärt war und der FMLA dies offen ließ.

Das oberste Bundesgericht hob jedoch auch hervor, dass der Arbeitnehmerin bei dem konkreten Sachverhalt keinerlei Schaden erlitten habe, da sie weit mehr als die vorgesehenen 12 Wochen FMLA-Abwesenheit genutzt hatte. Deshalb verbleibt ein Rest an Unsicherheit, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass in Fällen, in denen dem Arbeitnehmer ein tatsächlicher Schaden droht, und der Arbeitgeber seine Mitteilungspflicht verletzt hat, dem Arbeitgeber zusätzliche FMLA-Wochen zustehen können.

4. Folgen für die Praxis aus der Entscheidung

Um etwaigen Risiken zu begegnen, sollten daher Arbeitgeber auch nach der Ragsdale v. Wolverine World Wide-Entscheidung folgende Empfehlungen beachten:

Falls der Arbeitgeber Grund zur Annahme hat, dass ein Abwesenheitsgrund unter den FMLA subsumiert werden kann, sollte er diesen als FMLA-Abwesenheit einstufen. Bei Unsicherheiten, ob tatsächlich ein FMLA-Abwesenheitsgrund vorliegt, sollte der Arbeitnehmer darauf hingewiesen werden, dass ein FMLA-Grund angenommen werden kann und er die erforderlichen Krankheitsatteste zur Verfügung stellen soll.

Da es in der Praxis oft vorkommt, dass nur der unmittelbar Vorgesetzte weiß, ob ein Arbeitnehmer abwesend ist, dies aber nicht an die Personalabteilung weiterleitet, und eine Kenntnisnahme des Arbeitgebers von einem FMLA-Abwesenheitsgrund auch in einem solchen Fall fingiert wird, sollte die Geschäftsführung ihre Führungskräfte darauf hinweisen, dass diese bei einer Abwesenheit eines Arbeitnehmers über drei Tage hinaus oder aber bei dem offensichtlichen Vorliegen einer schweren Krankheit (falls beispielsweise bekannt ist, dass der Arbeitnehmer stationär behandelt wird) die Personalabteilung unmittelbar informieren sollen.

Ebenso sollte darauf geachtet werden, dass die schriftliche Benachrichtigung des Arbeitnehmers von der Einstufung seiner Abwesenheit als FMLA-Fall in einer leicht verständlichen Sprache verfasst ist, so dass der Arbeitnehmer sich nicht darauf berufen kann, dass er die Benachrichtigung falsch interpretiert hat und deshalb einen Anspruch auf weitere FMLA-Wochen geltend machen kann.

5. Fazit

Wenn der Arbeitgeber die genannten Grundregeln beachtet, kann er die ihm drohenden Risiken aus dem praktischem Umgang mit dem FMLA minimieren und der Arbeitnehmer ist über seine ihm zustehenden Rechte ausreichend informiert.

Es bleibt jedoch abzuwarten, wie der Supreme Court einen Fall entscheiden wird, in welchem dem Arbeitnehmer aus Mangel an rechtzeitiger Benachrichtigung seitens des Arbeitgebers tatsächlich ein Schaden entstanden ist.


*Der Verfasser hat nach seinem Jurastudium in Saarbrücken, Nancy (Frankreich) und Mainz, für den Europaabgeordneten Thomas Mann im Europäischen Parlament in Brüssel an dem Bericht zur Richtlinie zur Bekämpfung von Diskriminerung in Beschäftigung und Beruf gearbeitet, wobei die darauf aufbauend verabschiedete Richtlinie mittlerweile in nationales Recht umgesetzt wird. Während seines Rechtsreferendariats in Frankfurt am Main, verbrachte er seine Wahlstation bei Berliner, Corcoran & Rowe, LLP in Washington, DC.