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Wolf Marx: Intel v. Hamidi

Das Recht auf Freie Meinungsäußerung und "Spam":
Intel vs. Hamidi (Supreme Court of California)

von Wolf Marx*
Erstveröffentlichung: 15. Juli 2003

In der Entscheidung vom 30. Juni 2003 (Intel Corp. v. Hamidi, Calif., No. S103781) hat der Supreme Court of California das Recht eines ehemaligen Intel-Arbeitnehmers anerkannt, Kritik an den Beschäftigungspraktiken seines Ex-Arbeitgebers mittels größerer Email-Aktionen zu äußern. Das Gericht sah in der hierzu notwendigen Benutzung des elektronischen Mailsystems des Unternehmens keine Verletzung ("Injury") des persönlichen Eigentums Intels oder eines rechtlichen Interesses daran, die eine Klage wegen eines "Tort of Trespass to Chattels" begründen könnte. Die mehrheitlich gefällte Entscheidung enthält zudem eine Abgrenzung zur Problematik des unerlaubten "Spamming" und erklärt das verfassungsmäßige Recht auf freie Meinungsäußerung nach dem Ersten Zusatz zur Bundesverfassung für betroffen.

I) Tatsachen

Kourosh Hamidi, ein ehemaliger bei dem Unternehmen Intel angestellter Techniker, hatte gemeinsam mit anderen eine Gruppe mit dem Namen FACE-Intel (Former and Current Employees of Intel) gegründet. FACE-Intel bezweckte, Informationen und Ansichten zu verbereiten, die sich kritisch mit den Beschäftigungsmaßnahmen und der Personalpolitik von Intel auseinandersetzen. Hamidi trat als Webmaster und Sprecher von FACE-Intel auf.

Über einen Zeitraum von 21 Monaten verschickte Hamidi sechs Massenmails an mindestens 35.000 Adressen von Intel-Arbeitnehmern auf das elektronische Mailsystem des Unternehmens. Die Mitteilungen kritisierten Intels Beschäftigungspraktiken und enthielten Warnungen über deren gefährlichen Einfluss auf die Karriere der Arbeitnehmer, Anregungen zum Wechseln des Arbeitsplatzes sowie zur Einholung weitergehender Informationen bei FACE-Intel. Es wurde hierbei die Möglichkeit zum Verzicht auf den Erhalt weiterer Emails eingeräumt und auch akzeptiert. Hamidi beschädigte durch seine Kontaktaufnahme zu den Angestellten nachweislich nicht das Computer-Sicherheitssystem von Intel. Es entstanden weder materielle Schäden noch Funktionsstörungen bei den Rechnern des Unternehmens ("Functional Disruption"). Intel wurde auch nicht an der Benutzung der eigenen Computer gehindert. Die Inhalte der Mitteilungen führten jedoch zu Diskussionen zwischen Beschäftigten und Führungskräften.

Intel erhob daraufhin Klage gegen Hamidi und machte geltend, dass Hamidi durch die Kontaktaufnahme zu den Beschäftigten die unerlaubte Handlung der Besitzstörung bei beweglichen Sachen ("Tort of Trespass to Chattels") begangen habe. Das Gericht erster Instanz ("Trial Court") entsprach dem Antrag der Klägerin auf Erlass eines Urteils ohne Beteiligung einer Jury und legte Hamidi auf, keine weiteren Mailingaktionen durchzuführen ("Injunctive Relief"). Das von Hamidi angerufene Berufungsgericht ("Court of Appeal") bestätigte das Urteil, da Hamidi die Geschäfte Intels durch Nutzung von Unternehmenseigentum gestört habe.

Der kalifornische Supreme Court verwirft diese Entscheidung in dem vorliegenden Urteil mehrheitlich.

II) Begründung

Das Gericht stellt zunächst fest, dass die von der Klägerin vorgebrachte unerlaubte Handlung keine elektronische Kommunikation erfasst, die - wie vorliegend - weder das Computersystem des Empfängers beschädigt noch in seiner Funktionsweise beeinträchtigt. Nach kalifornischem Recht könne ein "Tort of Trespass to Chattels" entgegen der Auffassung des "Court of Appeal" nicht ohne den hier ausstehenden Nachweis einer Verletzung ("Injury")von persönlichem Eigentum der Kläger oder eines rechtlichen Interesses gerichtlich geltend gemacht werden. Hamidis elektronische Kontaktaufnahme begründet laut Gericht aber keine klagbare Verletzung persönlichen Eigentums (" Personal Property") am Computersystem: Denn durch sie werde weder in den Gebrauch ("Use"), den Besitz ("Possession") an besagtem persönlichem Eigentum oder in irgend ein anderes rechtlich geschütztes Interesse daran eingegriffen (vgl. Zaslow v. Kroenert (1946) 29 Cal.2d 541, 551 und Ticketmaster Corp. v.Tickets.com, Inc. (C.D.Cal., Aug. 10, 2000, No. 99CV7654) 2000 WL 1887522, p.4; Rest.2d Torts, § 218.).

Das Gericht erkennt hierbei den von Intel behaupteten wirtschaftlichen Schaden in Gestalt des Verlusts von Arbeitsproduktivität nicht als Verletzung des Interesses an den Computern des Unternehmens dar. Die Rechner hätten nämlich wie beabsichtigt funktioniert und keinerlei Schaden durch die Kommunikationsvorgänge davongetragen. Ebensowenig wie hier würde eine beim Lesen eines unangenehmen Briefs hervorgerufene Verärgerung oder ein aufdringlicher, die Privatsphäre beeinträchtigender Anruf eine Verletzung der Mailbox des Empfängers nach sich ziehen. Das Lesen einer Email, die an Geräte übermittelt wurde, die für deren Empfang entwickelt wurden, habe keinen Einfluß auf das Besitzrecht an den Geräten. Andernfalls würden unerbetene Telefonanrufe und Faxe, ebenso wie unwillkommene Radiowellen und Fernsehsignale einen "Trespass to Chattels" darstellen. Das Gericht räumt zwar ein, dass eine unerwünschte Kontaktaufnahme elektronischer oder anderer Natur eine Vielzahl von Verletzungen ("Injuries") im Bereich der wirtschaftlichen Beziehungen, des Ansehens und der Emotionen ("Emotions") verursachen könne; doch diese Interessen seien durch andere Arten von unerlaubten Handlungen ("Other Branches of Tort Law") rechtlich geschützt. Das Gericht dürfe daher nicht die Fiktion einer Beeinträchtigung des Kommunikationssystems schaffen.

Nach Ansicht der Gerichtsmehrheit kann Intel zudem nicht in geeigneter Weise ein eigentumsbezogenes Recht ("Property Interest") an der Zeit ihrer Arbeitnehmer geltend machen: Arbeitnehmer seien im rechtlichen Sinne keine beweglichen Sachen ("Chattels"), folglich könne man den "Trespass to Chattels" nicht zum Schutz des geltend gemachten Rechts heranziehen. Das eigene Interesse an der Produktivität der Arbeitnehmer, die durch Hamidis Mitteilungen gestört werde, sei hierbei kein vergleichbares geschütztes Interesse am Computersystem des Unternehmens.

Hamidis Mailings sind laut Gericht auch klar von sog. "Spam", also ungebeten zugesandte Massen-Emails gewerblicher Art ("Commercial Bulk E-Mail (UCE)") abzugrenzen (vgl. Ferguson v. Friendfinders, Inc. (2002) 94 Cal.App.4th 1255, 1267.). Das Gericht weist darauf hin, dass seine rechtlich bindenden Entscheidungsgründe ('Holding") die Rechtsverfolgung von Absendern derartiger Emails durch Internetprovider nicht betrifft (vgl. Ferguson v. Friendfinders, Inc. (2002) 94 Cal.App.4th 1255, 1267.). Eine Haftung Hamidis mit Berufung auf einen "Tort of Trespass to Chattels" scheitere an den hierfür anerkannten Voraussetzungen. Im zu entscheidenden Fall besteht die vorgebrachte Verletzung nach dem Gericht nur in der durch die Inhalte der Mitteilungen verursachten Störung oder Ablenkung der Empfänger. Damit liegt nach den Worten des Gerichts eine Verletzung vor, die vollständig vom Besitz oder dem Wert persönlichen Eigentums zu trennen sei und die keine direkte Auswirkung hierauf habe. Nach vorherigen richterlichen Entscheidungen wäre aber stets erforderlich, dass die enorme Quantität der verschickten Mails sowohl die eigenen Computer der Internetprovider überlastetete sowie den Gebrauch des gesamten Computersystems für die Empfänger erschwerte (vgl. CompuServe, Inc. v. Cyber Promotions, Inc. (S.D.Ohio 1997) 962 F.Supp. 1015). Diesen Nachweis konnte Intel laut Gericht nicht erbringen. Das Gericht sieht darüber hinaus die Anzahl von Hamidis Emails im Vergleich zu der Menge an Mails bei Werbeaktionen als deutlich geringer an.

Entgegen der abweichenden Auffassung des Richters Mosk halten die Richter mehrheitlich auch das Recht auf freie Meinungsäußerung nach dem Zusatz zur Bundesverfassung ("First Amendment") für betroffen (vgl. auch Wagner, "US-Entscheidung zur Anerkennung des Pariser Yahoo-Urteils, Az. C-00-21275 JF"):

Die Unanwendbarkeit ergibt sich danach nicht daraus, dass nur eine Person des Privatrechts ("private entity") betroffen ist, welche die Durchsetzung privater Rechte sucht. Das gerichtliche Zusprechen eines Schadens bzw. die gerichtliche Verfügung in einem privaten Rechtsstreit stelle nämlich ebenso wie die Durchsetzung eines Gesetzes ("Statute") oder Verordnung ("Ordinance") eine staatliche Handlung ("State Action") dar. Ein solcher Gebrauch staatlicher Macht müsse deshalb die durch den Ersten Zusatz zur Verfassung ("First Amendment") gezogenen Grenzen einhalten (vgl. Cohen v. Cowles Media Co. (1991) 501 U.S. 663, 668; NAACP v. Claiborne Hardware Co. (1982) 458 U.S. 886, 916, fn. 51; New York Times v. Sullivan (1964) 376 U.S. 254, 265.; Zeller, "Deutsche und amerikanische Rechtsprechung zu "Cybergriping"). Anders liegt der Fall laut Gericht nur dann, wenn eine Privatperson es ablehne, die elektronische Rede ("Electronic Speech") eines anderen zu übermitteln.

Weitere der Verfassung zu entnehmende Rechte sieht das Gericht nicht als betroffen an und richtet sich damit gegen die Minderheitsvoten der Richter Mosk und Brown:

Selbst wenn Hamidi nach der Verfassung kein Recht zur Verletzung von Rechten des Unternehmens Intel ("Constitutional Right to Trespass") zukäme, sei eine Verletzung des Eigentums von Intel gerade nicht ersichtlich. Anders als im Fall Church of Christ in Hollywood v. Superior Court ((2002) 99 Cal. App. 4th 1244) war der Beklagte nicht greifbar auf dem klägerischen Eigentum präsent ("No tangible Presence on Intel Property"); Hamidi äußerte sich statt dessen von zu Hause mit Hilfe seines Computers. Hierbei griff er in Intels Eigentum ("Property") nicht mehr ein als ein Demonstrant, der außerhalb der Zentrale des Unternehmens ein Schild hochhält oder durch ein Megaphon ruft bzw. per Post einen Brief verschickt oder sich telefonisch über Praktiken des Unternehmens beschwert (vgl. Madsen v. Women's Health Center (1994) 512 U.S. 753, 765).

Nach mehrheitlicher Auffassung des Gerichts ergibt sich ein anderes Ergebnis auch nicht aus dem verfassungsmäßigen Recht Intels, Äußerungen anderer kein Gehör schenken zu müssen. Ein solches, dem Recht auf persönliche Autonomie ("Personal Autonomy") entstammendes sog. "Right not to listen" könne nämlich denknotwendig ohnehin nicht von Intel selbst, sondern nur von den einzelnen Empfängern oder auf deren Geheiß ausgeübt werden. Es bestünden aber keine Belege dafür, dass Hamidi Emails an Arbeitnehmer geschickt habe, die bereits ihren Unwillen am Erhalt weiterer Nachrichten mitgeteilt hatten. Selbst bei Vorliegen anderer Indizien wäre in jedem Fall ohnehin nur eine beschränkte gerichtliche Anordnung ("Narrow Injunction") zum Schutz dieser einzelnen empfangsunwilligen Arbeitnehmer möglich (vgl. Bolger v. Youngs Drug Products Corp. (1983) 463 U.S. 60, 72).

III) Bewertung und Ausblick

Die auf viel Beachtung gestoßene Entscheidung wird vielfach als ein Sieg für die Redefreiheit angesehen, da es Intel nicht um den Schutz seines Email-Systems, sondern vorrangig darum gegangen sei, Hamidi mundtot zu machen (siehe etwa www.intelhamidi.com). In der Tat wird es für US-amerikanische Unternehmen in Zukunft schwieriger werden, unerwünschte kritische Emails abzuwehren. Die Entscheidung hat Signalwirkung für andere, die ihrem Protest gegen einzelne Unternehmen in gleicher Weise Luft machen wollen. Allerdings ist sie nicht als Freispruch für ungehemmtes "Spamming" unter dem Deckmantel der freien Meinungsäußerung zu verstehen. Das Gericht hat vielmehr für diesen Bereich in der Entscheidung Grenzen gezogen. So darf das Computersystem des Empfängers weder beschädigt noch in seiner Funktionsweise beeinträchtigt werden. Eine Haftung besteht auch weiterhin für die Fälle, in denen der Gebrauch des gesamten Computersystems durch die enorme Quantität der empfangenen Emails erschwert und die Rechner von Internetprovidern und deren Kunden hierdurch überlastet werden.

Das Gericht hat auch darauf hingewiesen, dass der Bereich elektronischer Kommunikation keine Ausnahme hinsichtlich der Geltendmachung anderer "Torts" darstelle.

Intel hätte also grundsätzlich auch wegen beabsichtigter Beeinträchtigung eines bestehenden Vertragsverhältnisses ("Intentional Interference with Contractual Relations") gegen Hamidi klagen können. In der Entscheidung Beekman v. Marsters (195 Mass. 205, 80 N.E. 817 (1907)) wurden die Elemente einer " Tortious Intentional Interference with Contractual Relations" erstmals aufgestellt. Erforderlich ist hiernach ein bestehender Vertrag zwischen dem Kläger und einer anderen Person ("Existing Contract") sowie das Wissen des Beklagten um diesen Vertrag ("Knowledge"). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, da die Zielgruppe von Hamidis Massenmails bei Intel tätige Arbeitnehmer waren, die er warnen und zu einem Arbeitswechsel bewegen wollte. Hamidi handelte also auch in der Absicht, Vertragsverhältnisse Intels zu beeinträchtigen ("Intentional Interference"). Allerdings fehlt es an dem Erfordernis eines arglistigen und rechtsmißbräuchlichen Handelns ("Malicious Interference"). Nach der Mehrheit des Gerichts kam Hamidi nämlich das Recht auf Freie Meinungsäußerung zu, was ein derartiges Handeln ausschließt.

Mit gleicher Begründung wurde unlängst vom U.S. District Court, District of Western Oklahoma am 27. Mai 2003 in dem Fall SearchKing vs. Google Technology Inc. eine Klage wegen "Tortious Interference with Contractual Relations" abgelehnt. Dort hatte das Gericht entschieden, dass die von der Suchmaschine Google angezeigte Trefferrangfolge eine vom Recht auf Freie Meinungsäußerung geschützte Wertung darstelle. Die Klägerin SearchKing konnte daher nicht geltend machen, dass Google Inc. absichtlich, böswillig und damit rechtsmißbräuchlich diese Trefferrangfolge zum Nachteil von SearchStar Inc. abgeändert habe, deren Webseiten zuvor höherrangig angezeigt worden waren (vgl. auch Enric J. Sinrod, "Google's Page Rank Deemed Protected Speech", Legal Times v. 23. Juni 2003, S. 21).


* Der Verfasser studierte Rechtswissenschaften an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau. Seit Oktober 2001 ist er Referendar am Landgericht München. Zur Zeit absolviert er seine Wahlstation in der Kanzlei Berliner, Corcoran & Rowe LLP in Washington, DC, USA.


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