Yahoo! und die Nazi-Devotionalien
oder
welchem Recht unterfällt ein amerikanischer Internet-Dienst?
von Susanne Wagner*
Am 7. November 2001 hat der U.S. District Court von Kalifornien (ein Zivilgericht auf Landgerichtsebene) unter dem Vorsitz von Richter Jeremy Fogel ein richtungsweisendes Urteil (Az.: C-00-21275 JF) gefällt:
Der in Kalifornien ansässige Anbieter von Internet-Diensten Yahoo! ist an die Entscheidung eines französischen Gerichts, Nazi-Devotionalien und andere den Holocaust leugnende und den Nationalsozialismus verharmlosende Schriften von seinen Webseiten zu entfernen, nicht gebunden.
Ausgangspunkt für diese Entscheidung war ein Rechtsstreit zwischen La Ligue contre le racisme et l’antisemitisme, einem französischen Verein gegen Antisemitismus und Rassismus (LICRA) zusammen mit einer jüdischen Studentenvereinigung und Yahoo! Inc., einem Internet-Dienst mit Firmensitz in den Vereinigten Staaten. Der Rechtsstreit wurde vor einem französischen Tribunal de Grande Instance in Paris (ein Zivilgericht auf Landgerichtsebene) ausgetragen.
LICRA klagte auf Verhinderung des Zugangs für französische Web-Benutzer zu jeglichen Internet-Seiten Yahoos!, auf denen Nazi-Devotionalien angeboten werden, die nationalsozialistische Propaganda enthalten oder sonst gegen französische Gesetze verstoßen, indem sie den Nationalsozialismus verherrlichen oder den Holocaust leugnen.
Dabei ging es nicht um die Yahoo!-Seiten mit der Endung ".fr", die für französische Benutzer gedacht waren, da diese den nationalen Gesetzen entsprechen, sondern um englischsprachige Seiten mit der Endung ".com", die primär an US-Bürger gerichtet sind.
Trotz ihrer Adressierung an Amerikaner sind die Seiten -wie jeder Inhalt des Internet- nicht nur Amerikanern, sondern weltweit Benutzern jeder Nationalität, auch Franzosen, zugänglich.
Das Gericht entschied am 22. Mai 2000, daß das Anbieten von Nazi-Artikeln und Büchern vor allem auf der Auktionsseite von Yahoo! gegen französisches Recht verstosse und sprach unter Androhung von 100000 FF Strafe die Verpflichtung aus, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, Franzosen den Zugang zu der Auktonsseite mit Nazi-Artifakten und allen anderen Seiten mit der Endung ".com", zu verwehren, die nationalsozialistischen Inhalt haben.
Yahoo! verbot daraufhin das Anbieten der streitgegenständlichen Schriften und Objekte und entfernte alle auf seinen Webseiten enthaltenen nationalsozialistischen Gegenstände und Schriftstücke mit Ausnahme von offiziellen Briefmarken und Münzen. Zugang zu einigen Seiten mit nationalsozialistischem Inhalt besteht allerdings noch.
Im Juli 2000 wurde das Urteil wiedervorgelegt, um festzustellen ob der Verpflichtung nachgekommen wurde. Trotz Einwendungen seitens Yahoo!, daß eine Blockade speziell für Franzosen technisch unmöglich sei und lediglich 60-70 % der Besucher solcher Webseiten landesspezifisch identifiziert werden könnten, bestätigte der französische Richter nach Einholung eines Expertengutachtens am 20. November 2000 seine Entscheidung. Für den Fall der Nichtbefolgung innerhalb einer Frist von drei Monaten war wiederum eine Strafe von 100000 FF täglich angedroht.
Yahoo! ging im Dezember 2000 auf amerikanischem Boden gegen das französische Urteil vor und reichte eine Klage zum Northern District Court of California ein mit dem Antrag festzustellen, daß das ausländische Urteil in den USA weder anerkannt noch vollstreckt werden kann, da es gegen das First Amendment to the United States Constitution, das amerikanische Grundrechte und speziell die freie Meinungsäusserung verbürgt, verstosse.
Das Gericht entschied antragsgemäß.
Zunächst wurde die Zulässigkeit der Klage nach amerikanischem Recht festgestellt:
Es besteht eine gegenwärtige Streitigkeit zwischen den Parteien, da ein vollstreckbares ausländisches Urteil vorliegt.
Ebensowenig ist eine Berufung, die das französische Urteil in seinem Ursprungsland außer Kraft setzen könnte, anhängig.
Yahoo! hat zudem ein Interesse an der Feststellung der Wirkungen des Urteils; dieses resultiert aus der nach französischem Recht wirksamen Anordnung und der drohenden Vollstreckung der Geldstrafe in den USA, die rückwirkend gefordert werden kann.
Dagegen konnte LICRA nicht beweisen, daß eine Vollstreckung nicht bevorstehe. Zwar sind dazu weitere Verfahrensschritte in Frankreich erforderlich, wie die gerichtliche Festsetzung der Geldstrafe, diese können jedoch ohne weiteres eingeleitet werden. Die bloße Aussage, daß Yahoo! mit seinen bisherigen Maßnahmen der Anordung eventuell genügt habe und eine Vollstreckung nicht beabsichtigt sei, ist nicht ausreichend um diese Gefahr auszuschliessen.
Eine reale und gegenwärtige Bedrohung amerikanischer Grundrechte wie die des First Amendment durch eine Vollstreckung des französischen Urteils genügt.
Ferner liegt entgegen der Ansicht von LICRA ein Fall des internationalen Forum-Shopping nicht vor; Yahoo! hat sich nicht mit der Absicht an dieses Gericht gewandt, das Urteil aus Frankreich zu revidieren. Die Anwendung französischen Rechts auf das Verhalten von Yahoo! in Frankreich wird mit der Klage nicht in Frage gestellt. Vielmehr ist das Ziel dieses Rechtsstreits festzustellen, ob ein US-Gericht das Urteil anerkennen und vollstrecken kann, ohne das First Amendment zu mißachten. Die Streitgegenstände sind demnach verschieden und die Rechtskraft des französischen Urteils steht der hier getroffenen Entscheidung nicht entgegen.
Abschließend wurde festgestellt, daß die internationale Zuständigkeit des Gerichts daraus folgt, daß ein amerikanisches Gericht am besten geeignet ist, über amerikanisches Recht zu entscheiden.
Die Klage ist begründet:
Dabei erörterte das Gericht vorab, daß es außer Frage steht, daß die Taten der Nazis auf der Stufe höchster Verwerflichkeit stehen und es nicht darum geht, über autonomes französisches Recht zu urteilen. Dieser Rechtstreit wirft keine moralischen, sondern Fragen auf der Ebene von Anstand, Politik und Kultur auf.
Die entscheidende Frage ist, ob es mit amerikanischem Recht vereinbar ist, daß ein anderer Staat die freie Meinungsäusserung eines US-Bürgers in den Vereinigten Staaten regeln kann, allein aufgrund der Tatsache, daß die Äusserung in diesem anderen Staat zugänglich ist.
Dies ist vor allem in einem Zeitalter von Bedeutung, in dem das Internet die räumliche Distanz bedeutungslos macht und eine dort eingestellte Äusserung weltweit abgerufen werden kann. Eine Konfrontation von Kulturen und Wertungen in diesem Medium ist unvermeidbar.
Richter Jeremy Fogel entschied, daß in dem Fall, daß ein ausländischer Staat gegen einen in den USA ansässigen Internet-Dienst vorgeht, US-Recht anwendbar ist.
Die Bindung an das Recht am Firmensitz gilt auch für das Internet. Daran ändert die diesem eigentümliche Besonderheit der weltweiten Zugänglichkeit nichts. Anknüpfungspunkt der rechtlichen Beurteilung ist damit der Ort, an dem die Webseite in das Internet gestellt wird.
Die Rechtsprechungkompetenz ausländischer Gerichte ist territorial beschränkt auf nationale Firmen. In den USA ansässigen Firmen dagegen sind allein an amerikanisches Recht gebunden und unterstehen dem Schutz der amerikanischen Verfassung.
Damit ist auch das First Amendment of the United States Constitution anwendbar, das die freie Meinungsäusserung auf Verfassungsebene garantiert und die Zulässigkeit offensiver, gewaltfreier Äusserungen propagiert. Ein bestimmter Standpunkt wird dadurch nicht verboten. Das Anbieten von Nazi-Devotionalien auf der Auktionsseite und die Verfügbarkeit von nationalsozialistischen Schriften im Internet ist legal.
Das französische Urteil dagegen, das die Meinungsäusserung im Internet zensiert und damit einen strengeren Maßstab anlegt, verstößt gegen das First Amendment und kann daher in den USA weder anerkannt noch vollstreckt werden.
Durch eine Befolgung des französischen Urteils und der damit verbundenen Konsequenz eines Banns jeglichen nationalsozialistischen Materials von Yahoo.com-Seiten würden US-Grundrechte verletzt.
Die von Yahoo! vorgebrachte Einwendung der technischen Unmöglichkeit einer Zugangsverhinderung nach Nationalität ist insofern irrelevant.
Ferner genügt die Formulierung des Tenors den Anforderungen des First Amendment nicht, da sie zu vage und ungenau ist, indem sie lediglich auf "erforderliche Maßnahmen" abstellt.
Als obiter dictum stellte das Gericht fest, daß ausländische Urteile grundsätzlich territorial beschränkte Wirkung haben und zur Vollstreckung in den Vereingten Staaten der Anerkennung durch amerikanische Gerichte bedürfen. Im Allgemeinen steht dieser Anerkennung nichts entgegen, außer das Urteil läuft grundlegenden amerikanischen Interessen zuwider. Dies ist hier der Fall, da eine Kollision mit US-Grundrechten vorliegt.
Als Besonderheit kommt in dem vorliegenden Rechtsstreit hinzu, daß der Fall das Internet betrifft und Meinungsäusserungen an zahllosen Orten gleichzeitig wahrgenommen werden können.
In rechtlicher Hinsicht folgt aus den getroffenen Feststellungen, daß das französische Gericht zwar rechtswidrige Meinungsäusserungen in Frankreich verbieten kann, jedoch kann ein amerikanisches Gericht dieses Urteil nicht vollstrecken, wenn die Meinungsäusserung eines US-Bürgers in Amerika wahrgenommen werden kann und deren Verbot gegen Grundrechte verstossen würde.
Der Schutz, den amerikanische Grundrechte amerikanischen Bürgerm in den Vereinigten Staaten gewährleisten, kann nicht zugunsten ausländischer Rechtsprechung ausgehebelt werden.
Anwendbares einheitliches internationales Recht, das diesen Schutz modifiziert, existiert nicht und andere nationale Wertungen können in einer autonomen Rechtsordnung nicht berücksichtigt werden.
Die Entscheidung des ausländischen Gerichts ist infolgedessen nicht anerkennungsfähig, da sie das Grundrecht auf freie Meinungsäusserung verletzt; Yahoo! ist nicht an die von dem französischen Gericht ausgesprochene Verpflichtung gebunden.
Abzuwarten bleibt allerdings das Ergebnis der am 4. Dezember 2001 eingelegten Berufung.
LICRA greift darin die Zuständigkeit des amerikanischen Gerichts an; ohne Niederlassung der Berufungsklägerin in den Vereinigten Staaten sei das Gericht nicht entscheidungsbefugt. Außerdem liege keine Streitigkeit vor, da eine Vollstreckung des französischen Urteils nicht beantragt wurde.
Mit dieser Entscheidung ist der Weg für eine Reihe gleichartiger Fälle geebnet. US-Internetfirmen können sich im Hinblick auf dieses Urteil auf amerikanische Grundrechte berufen und ihr Verhalten an amerikanischen Legalitätsmaßstäben messen.
Die Forderung, daß Internet-Präsenzen im Einklang mit sämtlichen existenten Rechtsordnungen stehen müssen, allein mit der Begründung, daß die Webseite überall zugänglich ist, ist jenseits des Machbaren.
Es kann nicht die Kenntnis sämtlicher Rechtsordnungen verlangt werden, um weltweit rechtmäßige Internet-Seiten zu erstellen.
Die globale Verfügbarkeit des Internet steht einer derartigen Omnilegalität entgegen.
* Susanne Wagner hat seit Oktober 1994 Rechtswissenschaften an der Universität Augsburg studiert und im Juli 2001 das Zweite Staatsexamen mit Prädikat bestanden. Nach einem Wechsel nach Washington DC ist sie derzeit auf Stellensuche. Die Verfasserin ist unter der Email-Anschrift swagner99@hotmail.com erreichbar.
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