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Trade Secrets in den USA - Die "Inevitable Disclosure Doctrine"Erstveröffentlichung: 21. Mai 2001 Von Tim Wittwer*
I. Rechtlicher AnsatzNeben den drei Stützpfeilern des "Intellectual Property", dem Marken-, Urheber- und Patentrecht, die auch dem kontinentaleuropäischen Juristen geläufig sind, existiert in den USA eine viertes, gleichwertiges Rechtsgebiet - die Trade Secrets. Diese Rechtsmaterie ist in ihrer nordamerikanischen Ausprägung dem kontinentaleuropäischen Juristen fremd, geht sie doch weit über das hinaus, was unter den Begriff Geschäftsgeheimnisse subsumiert werden kann.(1) Ein Aspekt der "Trade Secrets" ist die "inevitable disclosure doctrine", deren Entwicklung näher beleuchtet werden soll.
II. Verrat vertraulicher InformationenDie Doktrin besagt zunächst, dass ein Arbeitnehmer nicht zu einem neuen Arbeitgeber wechseln darf, wenn dieser in der gleichen Branche tätig ist wie sein ehemaliger Arbeitgeber, und aufgrund der Identität der Berufsfelder eine Preisgabe von vertraulichen Informationen des vorherigen Arbeitgebers an den neuen Arbeitgeber unvermeidbar ist. Selbst wenn der Arbeitnehmer an seinen neuen Arbeitgeber Informationen nicht ausdrücklich weitergibt, greift die Doktrin ein, falls es dem Arbeitnehmer nicht möglich ist, bei der Tätigkeit im neuen Betrieb Erkenntnisse und Erfahrungen aus seiner ehemaligen Wirkungsstätte geheim zu halten. Im Fall PepsiCo Inc. v. Redmond, in dessen Entscheidung die "inevitable disclosure doctrine" von US-Gerichten erstmalig angewandt wurde, wollte ein Manager der PepsiCo Incorporation zu Quaker Oats, dem Hersteller von Gatorade, einem direkten Konkurrenten von Pepsi, wechseln. Dies wurde ihm unter Rückgriff auf die "inevitable disclosure doctrine" im Wege einer einstweiligen Verfügung untersagt. Der Arbeitnehmer hatte zwar in seinem Arbeitsvertrag mit PepsiCo eine Geheimhaltungsklausel unterzeichnet, allerdings keine Wettbewerbsklausel, die es ihm verboten hätte, zu einem direkten Konkurrenten von Pepsi zu wechseln. Das Gericht erkannte, dass es dem Manager unmöglich wäre, seine bei Pepsi gewonnenen Informationen nicht zu Gunsten von Quaker Oats zu verwenden.(2) Er hätte sowohl intime Kenntnisse von der Marktstrategie als auch von der zukünftigen Preispolitik von Pepsi und wäre aufgrund der vergleichbaren beruflichen Position außerstande, seine Informationen nicht zu nutzen. Das Gericht legte der "inevitable disclosure doctrine" dabei die vereinbarte Geheimhaltungsklausel zu Grunde und erweiterte deren Anwendungsbereich im Hinblick auf einen maximal möglichen Schutz von vertraulichen Informationen. Neu an dieser Entscheidung war, dass ein Gericht den Wechsel zu einem konkurrierenden Unternehmen untersagte, ohne dass eine formelle Wettbewerbsklausel bestanden hat, die den Wechsel zu einem Konkurrenzunternehmen nach Aufgabe der bisherigen Tätigkeit verboten hätte. Diese Erkenntnis zu Grunde gelegt, kommt es bei der Anwendung der "inevitable disclosure doctrine" nicht darauf an, dass Geschäftsgeheimnisse verraten werden oder dass die konkrete Gefahr des Verrats von Geschäftsgeheimnissen besteht, sondern es genügt allein die abstrakte Gefahr, dass die vorhandenen Informationen bei der täglichen Arbeit zwangsläufig genutzt werden.(3) In der Vergangenheit bestand das Erfolgsrisiko einer einstweiligen Verfügung darin, dass Geschäftsgeheimnisse noch gar nicht veruntreut worden waren, solange der Arbeitnehmer die Tätigkeit bei seinem neuen Arbeitgeber nicht aufgenommen hat.(4) Vorbeugender einstweiliger Rechtsschutz allein gestützt auf eine vereinbarte Geheimhaltungsklausel wurde von US-Gerichten nicht gewährt. Mit Anwendung der "inevitable disclosure doctrine" prüft das Gericht nun in drei Schritten: - Feststellung, dass ehemaliger und neuer Arbeitgeber Konkurrenten sind. - Feststellung, dass dem Beklagten (Arbeitnehmer) vertrauliche Informationen im Rahmen seiner Tätigkeit zugä:nglich gewesen sind, die ihm in seinem neuen Betrieb von Nutzen sind und deren Nutzung bei seiner neuen Tätigkeit unumgänglich ist. - Feststellung, dass der neue Arbeitgber keine nachweislichen Schritte unternommen hat, um die Preisgabe der gewonnenen Informationen zu verhindern. Dieser durch die Entscheidung PepsiCo Inc. v Redmond eingeführte Prüfungskatalog wurde von US-Gerichten bei der fortdauernden Anwedung der "inevitable disclosure doctrine" erweitert und verfeinert. Liegen die genannten Voraussetzungen vor, wird dem Arbeitnehmer die Arbeit bei dem neuen Arbeitgeber für einen so lange andauernden Zeitraum untersagt, bis die unvermeidliche Offenlegung der Geschäftsgeheimnisse unschädlich ist, was üblicherweise einem Zeitraum zwischen sechs Monaten und einem Jahr entsprechen soll. Im Unterschied zum bisherigen Vorgehen bei einer einstweiligen Verfügung muss weder das verletzte Geschäftsgeheimnis genau spezifiziert werden, noch wird die Nutzung nur bestimmter Informationen untersagt, sondern es wird die gesamte Tätigkeit verboten.(5) Die Anwendung der "inevitable disclosure doctrine" kann dabei so weit reichen, dass auch negative Geschäftsgeheimnisse geschützt werden, etwa die Erkenntnis, dass bestimmte Markt- oder Werbestrategien nicht wirken.(6) Beachten musste der Arbeitgeber bisher jedoch, dass er im Vorfeld der Anstellung eines Arbeitnehmers geeignete Schritte unternommen hat, um seine vertraulichen Informationen zu sichern. Dazu gehört auch die Vereinbarung einer Geheimhaltungsklausel. Der Arkansas Supreme Court lehnte eine einstweilige Verfügung gestützt auf die "inevitable disclosure doctrine" teilweise deswegen ab, weil es der Arbeitgeber versäumt hatte, bei Beginn der Arbeitstätigkeit entsprechende sichernde Maßnahmen zu ergreifen, und daher gegen ihm obliegende Sorgfaltspflichten verstoßen hat.(7)
III. Konträre EntwicklungIm Gegensatz dazu stehen zwei neuere Entscheidungen New Yorker Gerichte. In der Entscheidung PSC Inc. v. Reiss wies das erkennende Gericht eine einstweilige Verfügung, die auf die "inevitable disclosure doctrine" gestützt wurde, deswegen ab, weil zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zuvor eine Geheimhaltungsklausel vereinbart worden war.(8) Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass der Schutz durch die "inevitable disclosure doctrine" nicht notwendig wäre, solange ebenbürtige Rechtsmittel aus dem Vertragsrecht zur Verfügung stünden. Sollte der Arbeitnehmer seine Geheimhaltungspflicht verletzen, könne er auf Zahlung von Schadensersatz in Anspruch genommen werden. Der in Betracht kommende Schadensersatzanspruch ergäbe sich sowohl aus der vertraglich vereinbarten Geheimhaltungsklausel als auch aus gesetzlichen Vorschriften, welche ebenfalls bei missbräuchlicher Weitergabe vertraulicher Informationen Schadensersatz gewähren. Zum besseren Verständnis dieser Argumentation muss das amerikanische Rechtssystem in seinen Grundzügen verdeutlicht werden. Die amerikanische Gerichtsbarkeit kennt zwei verschiedene Rechtsgebiete, das "law" und das "equity". Unter dem Begriff "law" werden Ansprüche verstanden, die sich rein formell aus Gesetzestext oder vertraglicher Vereinbarung ergeben und nur auf Schadensersatz lauten können, nie auf Leistung. Unter "equity" werden besondere Rechtsmittel gefasst, die statt auf Formstrenge auf materielle Gerechtigkeit und faire Ergebnisse abstellen.(9) Dazu gehören Ansprüche auf Vertragserfüllung statt auf Schadensersatz sowie einstweilige Verfügungen. Diese beiden Rechtsgebiete sind jedoch im Allgemeinen nicht nebeneinander anwendbar, sondern es besteht ein Stufenverhältnis zwischen "law" und "equity". Insofern ist die Argumentation des New Yorker Gerichts konsequent, da ein Kläger nicht generell berechtigt ist, einen Anspruch unter "equity" durchzusetzen, wenn die Möglichkeit besteht, auch einen Anspruch geltend zu machen, der unter "law" gefasst wird, solange beide Ansprüche ein gleichwertiges Ergebnis versprechen.(10) Im zweiten Fall, Earth Web v. Schlack, verneinte das Gericht ebenfalls eine einstweilige Verfügung und führte in den Urteilsgründen aus, dass eine Geheimhaltungsklausel keine Grundlage für eine einstweilige Verfügung gestützt auf die "inevitable disclosure doctrine" darstellen könne.(11) Arbeitgeber und Arbeitnehmer hatten im Arbeitsvertrag bereits eine Geheimhaltungsklausel und eine Wettbewerbsklausel vereinbart, wobei letztere dem Arbeitnehmer untersagte, innerhalb eines Jahres nach Verlassen seines Arbeitgebers die Arbeit bei einem neuen Arbeitgeber aufzunehmen, dessen Geschäftsfeld sich mit dem seines vorherigen Arbeitgebers deckt und zu dem ein Konkurrenzverhältnis besteht. Das Gericht wollte dem Arbeitnehmer die Tätigkeit für den neuen Arbeitgeber nicht verbieten, weil es fand, dass die Anwendung der "inevitable disclosure doctrine" basierend auf einer Geheimhaltungsklausel zu einem Verhandlungsungleichgewicht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer führe und die Geheimhaltungsklausel in den Rang einer Wettbewerbsklausel erhebe, der ihr nicht zustünde. Letztendlich lehnte das Gericht die einstweilige Verfügung ab, da es entschied, dass die zuvor vereinbarte Wettbewerbsklausel dem Arbeitnehmer nicht den Wechsel zu seinem neuen Arbeitgeber untersage, da dessen Tätigkeitsfeld nicht unter die in der Wettbewerbsklausel enumerativ aufgeführten Konkurrenztätigkeiten subsumiert werden könne.
IV. Auswirkungen auf die "inevitable disclosure doctrine"So unterschiedlich die Begründungen der New Yorker Gerichte auch sein mögen, gemeinsam ist ihnen, dass sie eine einstweilige Verfügung nicht auf eine Geheimhaltungsklausel als Basis für die "inevitable disclosure doctrine" stützen. Erstere Entscheidung hält es für unnötig, ergänzende Maßnahmen zu ergreifen, wenn der Arbeitgeber es versäumt hat, nicht selbst für die Sicherheit seiner Geschäftsgeheimnisse zu sorgen. Letztere sieht das Kräfteverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gefährdet. Damit stehen beide Entscheidungen im Gegensatz zu PepsiCo Inc. v. Redmond, welche die "inevitable disclosure doctrine" in vergleichbarer Konstellation angewandt hat. Und vor allem trennen diese Entscheidungen wieder strikt zwischen "law" und "equity", deren Verschmelzung durch die Anordnung einer einstweiligen Verfügung grundsätzlich basierend auf einer vertraglichen Vereinbarung in einem Teilbereich amerikanischen Rechts begonnen hatte.(12) Während das Gericht im Falle PepsiCo noch erkannte, dass Geschäftsgeheimnisse unter bestimmten Umständen einen derartig hohen Wert besäßen, der es rechtfertigt, "equity" und "law" zu verbinden, versagten die New Yorker Gerichte den "Trade Secrets" diesen Schutz.
V. AusblickDie Argumente beider Seiten sind gewichtig. Auf der einen Seite steht der Schutz intimster Geschäftsgeheimnisse, deren Preisgabe über Jahre hinweg zu einem nicht ermessbaren Schaden führen kann.(13) Zudem muss der Arbeitgeber ohne die Anwendung der "inevitable disclosure doctrine" machtlos darauf warten, bis seine ehemaligen Angestellten Geschäftsgeheimnisse tatsächlich gegenüber ihrem neuen Arbeitgeber offenbaren, bevor er ein Rechtsmittel einlegen kann. In diesem Fall bleibt nur noch die Schadensersatzklage, mit deren Hilfe versucht werden kann, die massivsten Schäden, soweit ermessbar, finanziell aufzufangen. Auf der anderen Seite stehen Arbeitnehmerfreizügigkeit und Berufsfreiheit, hoch anzusiedelnde und schützenswerte Rechte, deren Beschneidung besonderer Argumentation bedarf. Dem Arbeitnehmer würde der Arbeitsplatzwechsel allein auf Grund einer Geheimhaltungsklausel verboten, die zu diesem Zweck nicht vereinbart worden ist. Gelöst werden könnte dieser Widerspruch, indem die Möglickeit einer einstweiligen Verfügung gestützt auf die "inevitable disclosure doctrine" bereits in den Arbeitsvertrag aufgenommen wird. Damit wären die Bedenken beider Gerichte entkräftet. Einerseits könnte der Anspruch bereits auf das "law" gestützt werden, da eine entsprechende vertragliche Vereinbarung getroffen wurde, andererseits wird die ungleiche Verhandlungsposition von Arbeitgeber und Arbeitnehmer dadurch entschärft, dass der Arbeitnehmer schon bei Abschluss des Arbeitsvertrags vor den Schwierigkeiten eines etwaigen Berufswechsels gewarnt ist.(14) Damit sind allerdings noch nicht die Arbeitsverträge erfasst, die bereits millionenfach vereinbart wurden und die Problematik konkurrierender Tätigkeit bei Vertragsabschluss übersehen haben. Im Ergebnis wird eine verbindliche Aussage nicht getroffen werden können. Das amerikanische Rechtssystem ist einerseits flexibel und ergebnisorientiert, andererseits geprägt von Formstrenge, insbesondere werden gesetzliche Vorschriften teilweise ohne Rücksicht auf das Resultat angewandt. Ob ein Gericht die strikte Trennng zwischen "law" und "equity" aufweicht oder die Trennung formalistisch beibehält, entscheidet der Einzelfall. Der Jurist ist allgemein gut beraten, alle Varianten für möglich zu halten und in seine Erwägungen einzubeziehen.(15) Diese Erkenntnis kann auf die "inevitable disclosure doctrine" übertragen werden, wobei das erhebliche Gewicht der bisherigen Präzedenzfälle nicht vermuten läßt, dass die Doktrin gänzlich in Vergessenheit geraten wird.(16) Das "Trade Secret-Recht" entwickelt sich durch diese Entscheidungen bedeutende Schritte weiter und muss sorgfältig bei der Anbahnung von Vertragsverhältnissen berücksichtigt werden. Auch der weit verbreitete Brauch, Geheimhaltungsklauseln zwischen "Tür und Angel" informell zu vereinbaren, sollte somit neu zu überdenken sein.
1. Ausführliche Beschreibung der Trade Secrets: Clemens Kochinke/Justus Ernestus - Das Geschäftsgeheimnis im amerikanischen Recht - CR 1990, S. 689 ff. 2. PepsiCo Inc. v. Redmond, 54 F.3d 1262 (7th Cir. 1995). 3. Ian N. Feinberg -"Inevitable" Disclosure Of Trade Secrets: The Seductive Power Of The Dark Side. 4. Jonathan T. Hyman - Protecting the Use of Trade Secrets and Other Confidential Information: The Inevitable Disclosure Doctrine (March 2001). 5. Ian N. Feinberg, aaO, S.2. 6. James Pooley - Trade Secrets - § 4.02[3], at 4-17 (2000). 7. ConAgra Poultry Co. v. Tyson Foods Inc., 30 S.W.3d 725 (Ark 2000). 8. PSC Inc. v. Reiss, 111 F. Supp. 2d 252 (W.D.N.Y. 2000). 9. Mathias Reiman - Einführung in das US-amerikanische Privatrecht - S. 158. 10. Morales v. Trans World Airlines Inc., 504 U.S. 374, 381 (1992). 11. Earth Web v. Schlack, 71 F. Supp. 2d. 299 (S.D.N.Y. 1999). 12. Robert T. Quackenboss - Trade Secrets Inevitable Disclosure - in: The National Law Journal, 7. Mai 2001, S. B7. 13. Pooley, aaO, § 7.02[02], at 7-7. 14. So vorgeschlagen von: Quackenboss, aao. 15. Reiman, aaO, S. 212. 16. Quackenboss, aaO.
* The author received his law degree from University of Hannover, Germany, in 1999. Recently he completed the written part of the comprehensive finals for the bar exam. Now, in the spring of 2001, he is an intern with Berliner, Corcoran & Rowe, LLP, Washington D.C.
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